Poker um EU-Kommissionspräsidenten Warum sich Merkel jetzt doch klar zu Juncker bekennt

Brüssel/Berlin · Angela Merkel hat sich verschätzt. Der Wirbel um ihre lauwarme Rückendeckung für die Kür ihres Parteifreunds Jean-Claude Juncker zum Kommissionspräsidenten beim jüngsten EU-Gipfel geriet am Ende größer als gedacht. Also lenkte die Physikerin der Macht ein.

Angela Merkel ist im Streit um Jean-Claude Juncker umgekippt
Foto: afp, TC/nk

Sie führe "alle Gespräche in dem Geiste, dass Jean-Claude Juncker auch Präsident der EU-Kommission werden sollte", unterstrich die CDU-Chefin auf dem Katholikentag in Regensburg.

Noch beim EU-Sondergipfel am Dienstagabend in Brüssel hatte sie genau jene Festlegung vermieden. Sie schließe nichts aus und nichts ein, sagte sie da bei ihrer Pressekonferenz. Es gehe nicht nur um Personen, sondern auch um Politikschwerpunkte für die EU in den kommenden fünf Jahren. "Die ganze Agenda kann von ihm (Juncker), aber auch von vielen anderen durchgesetzt werden", so die CDU-Chefin.

Die Vorbehalte waren größer als erwartet

Die SPD polemisierte daraufhin lautstark los. Es sei grotesk, dass Juncker die Rückendeckung vom EU-Parlament und den sozialistischen Premiers im Rat habe, aber von den Chefs der eigenen Parteifamilien ausgebremst werde, schimpfte der Fraktionschef der Sozialisten im Europaparlament, Hannes Swoboda.

Was war passiert? Beim Abendessen der EU-Chefs stellte sich heraus, dass es deutlichere Vorbehalte gegen Juncker gibt als gedacht. Die EU könne keine Gesichter der Vergangenheit für die EU der Zukunft gebrauchen, polterte der Brite David Cameron. Ein Mann von gestern wie Juncker mache es ihm noch schwerer, die Wahl 2015 und das Referendum über den Verbleib Großbritanniens in der EU zu gewinnen, sagte der vom Triumph der EU-Hasser von der Ukip geschwächte Brite "Wir brauchen eine Einstellung, die anerkennt, dass Brüssel zu groß, zu rechthaberisch und zu eingreifend geworden ist."

Auch der nationalkonservative ungarische Regierungschef Viktor Orban und seine Kollegen aus den Niederlanden und Schweden, Mark Rutte und Fredrik Reinfeld, standen auf der Bremse. Es sei etwas anderes, ob eins oder mehrere Länder Vorbehalte äußerten, sinnierte Merkel beim Gipfel. "Es wird darum gehen, eine breite Mehrheit zu finden", so die Kanzlerin.

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Von Rompuy muss jetzt alles auslöffeln

Genau deshalb wollte sie eine frühe Festlegung auf Juncker als Kommissionspräsident eigentlich vermeiden. Zum einen, um Cameron und Co. nicht demonstrativ vor den Kopf zu stoßen — zum anderen, um in Ruhe ein Personal-Paket zu schnüren, mit dem alle leben können.

Es geht nämlich nicht nur um den Posten des Kommissionschefs, sondern auch die des Ratspräsidenten, des Hohen Beauftragten für Außenpolitik und eines möglichen hauptamtlichen Eurogruppenchefs. Bis Ende Juni soll der amtierende Ratspräsident Herman von Rompuy nun alle Hauptstädte und das Parlament konsultieren.

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"Es geht zuerst um Inhalte, dann um Personen", heißt es aus seinem Umfeld. Das bedeutet: Es sollen Politik-Schwerpunkte für die neue Kommission festgelegt werden. Frankreichs Präsident fordert etwa eine Neuorientierung der EU. Sie müsse sich auf das Wesentliche konzentrieren und mehr um Wachstum kümmern.

Der SPD geht es nicht nur um das Wohl der Demokratie

Das Kalkül hinter dem Vorgehen: mit programmatischen Zugeständnissen könnten die Kritiker Junckers eventuell eingefangen werden. Der neue Kommissionspräsident braucht zwei Mehrheiten: eine qualifizierte unter den Chefs im Rat und eine absolute im Europaparlament.

Das Parlament stellte sich hinter Wahlsieger Juncker, weil man den Bürgern versprochen habe, sie könnten diesmal indirekt den neuen Chef der EU-Exekutive wählen. Also müsse der Kandidat der stärksten Fraktion zuerst das Recht haben, sich eine Mehrheit zu suchen.

De facto geht es der SPD beim Druck auf Merkel, sich zu Juncker zu bekennen, nicht nur um Demokratie und Bürgerwillen, sondern auch um Posten. Wenn die Europäische Volkspartei sich über die Personalie zerstreitet, könnte am Ende doch Martin Schulz zum Zug kommen. Zumindest aber will die SPD sicherstellen, dass ihr Spitzenkandidat Schulz, der historisch hohe Zugewinne bei der Europawahl erkämpfte, deutscher Kommissar in der neuen Brüssel Exekutive wird.

Merkel droht daheim ein Aufstand

Das Problem: Europäisch wäre es damit für Merkel leichter, ein konsensfähiges Personal-Paket zu schnüren. Aber daheim droht ein Aufstand in der eigenen Partei. Schließlich hat die Union die Europawahl in Deutschland klar gewonnen. Deshalb wäre es den Anhängern von CDU und CSU "schwer zu vermitteln", einen SPD-Mann nach Brüssel zu schicken, mahnte Unions-Fraktionschef Volker Kauder.

Noch deutlicher wurden die Chefs der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Herbert Reul und Markus Ferber: "Da die Unionsparteien die Europawahl in Deutschland klar gewonnen haben, fordern wir, dass das deutsche Mitglied der EU-Kommission aus den Reihen der CDU/CSU kommt."

(ing)
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