Fünf Sterne, Brexit und Podemos Europa steht im Zeichen des Protests

Rom · Der Triumph der Fünf Sterne in Rom und Turin war erst der Auftakt. Europa steht eine entscheidende Woche bevor. Protest lautet das Wort der Stunde - gegen die etablierten Parteien, das fehlende Interesse an den Alltagssorgen der Bürger und nicht zuletzt an Europa.

Das ist Virginia Raggi - die erste Bürgermeisterin Roms
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Das ist Virginia Raggi -Roms erste Bürgermeisterin

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Foto: dpa, drn ay

Nicht nur in wichtigen Metropolen Italiens machten die Bürger ihrem Ärger Luft, am Donnerstag stimmen die Briten darüber ab, ob sie den Staatenbund verlassen oder bleiben. Madrid steht mit der Neuwahl des Parlaments ein heißes Wochenende bevor. Hier sind alle Augen auf die junge Linkspartei Podemos gerichtet, die in der EU einiges anders haben möchte.

"Oh Virginia, sindaco di Roma!", jubelten die Anhänger der eurokritischen Fünf-Sterne-Bewegung der neuen römischen Bürgermeisterin Virginia Raggi standesgemäß zu. Bis in die Morgenstunden feierten sie den spektakulären Erfolg der erst 37-Jährigen in der Ewigen Stadt, schwenkten Fahnen mit den fünf gelben Sternen und reckten die Fäuste triumphierend in den Himmel.

Doch was kann ausgerechnet eine eurokritische Protestinitiative gegen die Alltagsprobleme der "unregierbaren" Hauptstadt Italiens mit ihren Müllbergen, dem Smog und dem Verkehrschaos ausrichten? Die Römer haben einfach die Nase voll von leeren Versprechen und Ankündigungen der großen Parteien, von Bürgermeistern, die für die scheinbar banalen Sorgen der resignierten Bürger nicht allzu viel Interesse zeigen.

Genau in diese Kerbe schlug die junge Rechtsanwältin: Statt kostspieliger Großprojekte wie etwa Olympia 2024 sollen lieber die Schlaglöcher von der Straße der Kaiserforen bis hin zur vernachlässigten Peripherie beseitigt werden. "Die Römer haben gewonnen", kommentierte sie ihren haushohen Wahlsieg über den Kandidaten von Regierungschef Matteo Renzi. "Es ist ein historischer Moment, ein Wendepunkt", ruft sie.

Spät in der Nacht zeigte sich auch der seit längerer Zeit abgetauchte M5S-Gründer und langjährige Starkabarettist Beppe Grillo und feierte gemeinsam mit "La Raggi" den Sieg, der durch den überraschenden Wahlerfolg der jungen Unternehmerin Chiara Appendino in Turin noch versüßt wurde. "Jetzt sind wir dran. Und das ist erst der Anfang", schrieb er in seinem Blog. Später legte er nach und tönte: "Jetzt fliegen wir hoch in Richtung der nationalen Regierung." Sein Ziel ist letztlich eine Volksbefragung über einen Austritt aus dem Euro. Ob ein Großteil der Italiener aber wirklich die Lira zurückhaben möchte, ist mehr als fraglich.

Viel konkreter wird es in dieser Woche in Großbritannien: Auf der Insel sind die Bürger am Donnerstag dazu aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob ihr Land den Brexit vollziehen und die EU verlassen soll - es wäre ein beispielloser Schritt mit unabsehbaren Folgen. Es ist weiter unklar, in welcher Weise der Tod der Pro-EU-Anhängerin Jo Cox das Referendum beeinflussen könnte. Umfragen, die teilweise davor, teils nach der Ermordung gemacht wurden, sprechen von Zugewinnen des Pro-EU-Lagers. Allerdings sieht es nach wie vor nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen aus.

Noch komplizierter ist die Lage in Spanien. Dort müssen die Wähler am Wochenende bereits zum zweiten Mal innerhalb von sechs Monaten an die Wahlurnen, weil es bisher nicht geglückt ist, eine Regierung zu bilden. Doch auch die neuerliche Abstimmung dürfte wenig an den unklaren Mehrheitsverhältnissen ändern, an denen auch die erst 2014 gegründete EU-kritische Linkspartei Podemos (Wir können) mit ihrem Anführer Pablo Iglesias einen erheblichen Anteil hat.

Die konservative Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy wird vermutlich wieder vorn liegen, aber nicht allein regieren können. Die Sozialisten (PSOE) laufen Gefahr, von Podemos überholt und auf den dritten Rang zurückgedrängt zu werden.

Von der EU-Kommission in Brüssel gab es zunächst keine Reaktion zum Sieg der Fünf Sterne in Italien, die Kritiker als populistisch einstufen. Die Sorgen angesichts eines neuerlichen Triumphs einer solchen Bewegung in Europa dürften aber nicht geringer werden. "Ich bin unglücklich darüber, dass alle den Populisten hinterherlaufen", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker unlängst bei einer Veranstaltung in Brüssel. "Blinde führen Blinde."

Der Luxemburger rief dazu auf, sich wieder auf ursprüngliche europäische Ideen zu besinnen. "Dies war ein Kontinent großer Tragödien", sagte er. "Mein Vater wurde als Soldat im Zweiten Weltkrieg von den Russen gefangen genommen. Ich möchte nicht, dass sich so etwas wiederholt. Ich hätte gern, dass wir Europäer sind, bleiben, wieder werden."

(felt/dpa)
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