"Brexit" Mit diesen Vorschlägen will Tusk London in der EU halten

Brüssel · Viele Wochen lang haben London und Brüssel über die britischen Forderungen nach einer EU-Reform verhandelt, die einen Verbleib Großbritanniens in der Union sichern soll.

 Der britische Premier David Cameron.

Der britische Premier David Cameron.

Foto: dpa, ld ase

Mit der Vorlage eines Kompromissvorschlags von EU-Ratschef Donald Tusk sind nun die anderen 27 Mitgliedstaaten am Zug. Bei einem Durchbruch in den Verhandlungen könnte Premier David Cameron die von ihm versprochene Volksabstimmung zur EU ansetzen. Ein Überblick über die vier Reformbereiche:

Streichung von Sozialleistungen für EU-Ausländer

Cameron bekommt die "Notbremse" gegen EU-Zuwanderer, die vielfach als Diskriminierung und Einschränkung der Freizügigkeit in Europa kritisiert wird. Tusks Vorschlag gesteht zu, dass die Ausgestaltung von Sozialsystemen ein "Anreiz" zur Einwanderung sein könne. Lohnaufstockungen oder der Anspruch auf Sozialwohnungen sollen deshalb für Erwerbstätige aus anderen EU-Staaten "für eine Gesamtzeit von bis zu vier Jahren" beschränkt werden können.

Dies gilt jedoch nur für Neuankömmlinge und nicht für EU-Bürger, die schon im Land sind. Zudem setzt ein dazu vorgeschlagener Mechanismus voraus, dass es um eine Zuwanderung "von außergewöhnlicher Größe über längere Zeit" geht und diese einen "übermäßigen Druck" etwa auf die Sozialsysteme ausübt. Leistungsbeschränkungen müssen darüber hinaus während des vorgesehenen Zeitraums "schrittweise" wieder abgebaut werden.

Einer Beschränkung müssten die EU-Kommission und die anderen Mitgliedstaaten mit qualifizierter Mehrheit zustimmen - notwendig sind also 55 Prozent der EU-Länder mit mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung. Die "Notbremse" könnten alle EU-Staaten für sich in Anspruch nehmen, wenn sie die Bedingungen erfüllen.

Alle EU-Länder sollen auch gegebenenfalls Kindergeldzahlungen an Bürger aus anderen Mitgliedstaaten verringern können, wenn die Kinder nicht im Land des anspruchsberechtigten Elternteils leben. Die EU-Kommission soll eine Regelung schaffen, die eine Anpassung der Zahlungen an den Lebensstandard im Wohnortland der Kinder ermöglicht.

Das Verhältnis zu den Nicht-Euro-Staaten

Großbritannien gehört nicht zu den 19 Ländern der Eurozone und wacht strikt über die Unabhängigkeit seiner Währung und des Finanzplatzes London. In Tusks Entwurf wird nun ein gegenseitiges Entgegenkommen vorgeschlagen: Es soll ein "Mechanismus" geschaffen werden, der Nicht-Euro-Ländern "die notwendigen Zusicherungen" gibt, aber auch verhindert, dass wichtige Entscheidungen der Eurozone verzögert oder verhindert werden.

Bei "Not- und Krisenmaßnahmen" der Eurozone erhalten die neun Länder ohne Euro die Garantie, dass sie nicht mitbezahlen müssen. Die Nicht-Euro-Länder verpflichten sich ihrerseits, keine Hindernisse für eine weitere Vertiefung der Währungsunion zu schaffen.

Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit

Die EU soll ihre Anstrengungen für mehr Wettbewerbsfähigkeit verstärken, um Wachstum und Jobs zu schaffen. Geplant sind "konkrete Schritte", um bessere Gesetzgebung zu ermöglichen sowie Verwaltungslasten und Bürokratiekosten zu beseitigen. "Unnötige" Gesetzgebung auf EU-Ebene soll zurückgenommen werden.

Nationale Souveränität

Die von Cameron kritisierte Formulierung einer "immer engeren Union" aus den EU-Verträgen sei keine Grundlage dafür, die Tragweite des europäischen Rechtes auszuweiten, heißt es in Tusks Vorschlag. Sie zwinge auch keinen Mitgliedstaat dazu, an einer weiteren politischen Vertiefung teilzunehmen, möglich seien "verschiedene Wege der Integration".

Auch Camerons Forderung, die nationalen Parlamente zu stärken, findet sich in den Vorschlägen wieder. Bei EU-Gesetzesvorhaben können diese binnen zwölf Wochen nach Vorlage eines Entwurfs die "rote Karte" zeigen. Nötig ist dazu eine Mehrheit von 55 Prozent der nationalen Parlamente in der EU. Der EU-Rat wäre dann verpflichtet, das Vorhaben zu stoppen, falls der Entwurf nicht so ergänzt wird, dass er die Bedenken der nationalen Parlamente berücksichtigt.

Röttgen: Vorschläge sind ein fairer Kompromiss

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat die geplanten EU-Zugeständnisse an Großbritannien als fairen Kompromiss begrüßt. Die von EU-Gipfelchef Donald Tusk vorgelegten Vorschläge "tragen Großbritanniens besonderen Wünschen Rechnung, ohne allgemeine Regeln und Prinzipien zu verletzen", sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er gehe davon aus, dass der EU-Gipfel am 18. und 19. Februar in Brüssel zustimme, "weil in der EU alle wollen, dass die EU beieinander bleibt. Und weil die Lösung, die dafür gefunden worden ist, fair ist."

Röttgen sagte, das Tusk-Papier sei eine Vorarbeit dafür, dass das britische Referendum über einen Verbleib in der EU noch im Juni stattfinden könne "und damit die Hängepartie sehr schnell auch im europäischen Interesse beendet werden kann". Die Reformvorschläge zeigten die Fähigkeit Europas zum Kompromiss, "die man an anderer Stelle schmerzhaft vermisst", betonte er mit Blick auf die fehlende Solidarität vieler EU-Staaten in der Flüchtlingskrise.

(felt/dpa/AFP)
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