Nach dem Referendum in Großbritannien Brexit-Wortführer Boris Johnson — der nächste Premierminister?

London · Er gehört zu den prominentesten Vertretern des Brexit-Lagers: Boris Johnson. Der Mann mit dem blonden Haarschopf, einst Bürgermeister von London, könnte nach dem Brexit-Sieg nun den Schritt nach ganz oben wagen.

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Es gibt mindestens zwei Boris Johnsons. Einer tritt am Freitag nach Bekanntwerden des Brexit-Votums und der Rücktrittserklärung von Premierminister David Cameron vor die Kameras. Staatsmännisch erklärt er, dass Großbritannien trotzdem "im Herzen Europas" sei. Er ist gebildet, höflich und eloquent. Hass auf Migranten ist ihm zuwider.

Und dann gibt es noch den anderen Johnson. Der behauptet, die EU wolle einen Superstaat errichten — wie einst Napoleon und Hitler. Auf dem Höhepunkt der Affäre um den deutschen Fernsehsatiriker Jan Böhmermann schreibt er ein Schmähgedicht über einen "jungen Kerl aus Ankara" und gewinnt damit einen zweifelhaften Wettbewerb für das "beleidigendste Gedicht über Präsident Erdogan".

Brexit: Gegner und Befürworter des EU-Austritts
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Politische Gegner und Befürworter des EU-Austritts

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Foto: dpa, Facundo Arrizabalaga

Es ist nicht leicht, den Mann mit dem blonden Schopf zu durchschauen:
Mal scheint er sich absichtlich dumm zu stellen, um unbeholfen und harmlos zu wirken. Mal brilliert er in TV-Debatten mit großem rhetorischen Talent und lässt seine Gegner alt aussehen.

Johnson hat Grund, selbstbewusst zu sein. Immer wieder wurde er in Umfragen zum beliebtesten Politiker Großbritanniens gekürt. Wäre er noch einmal angetreten, er hätte wohl kaum Schwierigkeiten gehabt, die Bürgermeisterwahl in London für sich zu entscheiden.

Doch Boris Johnson, so glauben viele, strebt nach Höherem. Dass er sein Gewicht in die Waagschale der Brexit-Befürworter warf, dürfte wohl kaum ohne Hintergedanken geschehen sein.

Das Votum der Briten für einen Austritt aus der EU geht zu einem nicht unerheblichen Teil wohl auch auf sein Konto. Dabei ist es noch nicht lange her, dass sich Johnson entschied, für einen Austritt Großbritanniens aus der EU zu werben.

An einem Sonntag im Februar trat er vor seinem Haus im Norden Londons mit gesenktem Kopf vor die Kameras. Er war damals noch Bürgermeister der britischen Hauptstadt. Er stammelte etwas vom "schwerem Herzen", und dass er nichts gegen Premierminister David Cameron und die Regierung unternehmen wolle. Aber er habe, dem Volk zuliebe, keine andere Wahl. Seinen konservativen Parteifreund Cameron soll er erst wenige Minuten vorher per SMS über den Schritt informiert haben.

Brexit: Reaktionen zur Abstimmung
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Bestürzung und Jubel nach dem Brexit

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Johnson gehört wie Cameron zum britischen Establishment, beide gingen auf das Elite-Internat Eton. Anders als der stets gepflegt auftretende Premier versteht es Johnson aber, den einfachen Mann anzusprechen. Er schneidet Grimassen, flucht, stolpert, stürzt und pöbelt. Doch all das scheint ihm nicht zu schaden. Im Gegenteil, Umfragen zufolge schenken die Briten Johnson sehr viel mehr Glauben als dem Premier. Das hat sich nun ausgezahlt.

Johnson hat wohl gute Chancen, nach dem Amt des Regierungschefs zu greifen. Die Frage ist nur: wann? Cameron wird noch drei Monate im Amt bleiben. Ergreift Johnson dann seine Chance?

Mehr über den Brexit lesen Sie hier.

(das/dpa)
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