Gisela Stuart Das bayerische Gesicht des Brexit

Gisela Stuart, geboren in der Nähe von Landshut, war beim Brexit einer der wichtigsten Köpfe der "Leave"-Kampagne. Die Positionen der Labour-Politikerin sind Lichtjahre von der Parteilinie entfernt. Für die EU sieht sie keine Zukunft.

 Politikerin Stuart (mit Boris Johnson): "Letzte Chance, die Kontrolle zurückzuerlangen"

Politikerin Stuart (mit Boris Johnson): "Letzte Chance, die Kontrolle zurückzuerlangen"

Foto: afp

Es ist eine hübsche Ironie der Geschichte: Die Frau, die mithalf, Großbritannien aus der Europäischen Union zu führen, trägt denselben Namen wie die Monarchen, die erstmals England und Schottland unter einer Krone zusammenbrachten - Stuart. Denn das britische Brexit-Votum bringt die Frage der schottischen Unabhängigkeit neu auf den Tisch und gefährdet damit die jahrhundertealte Union zwischen England und Schottland.

Gisela Stuart, 60 Jahre alt, war einer der wichtigsten Köpfe der "Leave"-Kampagne, weil sie eine der wenigen Labour-Abgeordneten war, die für den Brexit kämpften. Als am Morgen nach der Abstimmung der Sieg der EU-Gegner feststand, trat Gisela Stuart im Rathaus von Manchester vor die Presse. Dort wurde das Endergebnis verkündet. "Wir werden weiter ein offenes, freundliches Land sein", sagte Stuart, "das sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene zusammenarbeiten wird." Das Bemerkenswerte ist, dass sie das auf Deutsch sagte, mit unverkennbar bayerischer Sprachfärbung und einem kleinen englischen Akzent. In dieser Situation Deutsch zu sprechen, sagte sie danach, sei wichtig gewesen, um die Weltoffenheit Großbritanniens zu unterstreichen.

Ur-britischer Nachname "Stuart" stammt vom Ehemann

Stuart wurde 1955 als Gisela Gschaider in Velden an der Vils geboren, etwa 25 Kilometer südlich von Landshut. Nach England kam die gelernte Buchhändlerin 1974, um die Sprache besser zu lernen und Betriebswirtschaft sowie Jura zu studieren. Ihrem Englisch ist die deutsche Herkunft inzwischen kaum noch anzumerken. Eine Doktorarbeit brach sie ab und konzentrierte sich stattdessen auf ihre politische Karriere. Der ur-britische Nachname Stuart kommt von ihrem ersten Ehemann; die Ehe wurde 2000 nach 20 Jahren geschieden. Stuarts zweite, 2010 geschlossene Ehe endete früh und tragisch: Ihr Mann Derek Scott, ein früherer Berater Tony Blairs und wie sie EU-Skeptiker, starb 2012 an Krebs.

Stuart selbst beschreibt sich heute als Britin; längst schon besitzt sie auch die Staatsbürgerschaft. Britisch zu sein, sei eine "supranationale Identität", schrieb sie wenige Tage vor dem EU-Referendum im "Guardian", "die die dunklen Seiten eines engen Nationalismus überwindet". Dass sie Politik machen und vermitteln kann, hat Gisela Stuart hinlänglich bewiesen: Seit 1997 hält sie den Unterhaus-Wahlkreis Birmingham-Edgbaston, der zuvor 99 Jahre lang in den Händen der Konservativen gewesen war. Viermal hat sie ihren Sitz seither verteidigt. Birmingham stimmte am 23. Juni überraschend mehrheitlich für den Brexit, obwohl die großen Städte eher Hochburgen der EU-Befürworter waren.

Lichtjahre entfernt von der derzeitigen Labour-Führung

Als "unabhängig denkende Labour-Stimme" beschreibt sich Stuart auf ihrer Homepage. Das ist eine krasse Untertreibung: Sie ist eine Labour-Rechtsaußen. Zwar hat sie sich im Parlament für klassische Anliegen ihrer Partei starkgemacht, etwa mehr Rechte für Schwule und Lesben, aber sie hat sich auch für Studiengebühren eingesetzt und (als einzige Abgeordnete ihrer Fraktion) 2004 für die Wiederwahl George W. Bushs zum US-Präsidenten. Bei Bush, so ihre Argumentation, wisse man, woran man sei, und das sei besser als "Führungspersonen ohne Steuer, die sich von der gerade vorherrschenden Windrichtung treiben lassen" – das bezog sich auf den demokratischen Kandidaten John Kerry. Stuart hat wie Premier Tony Blair 2003 für den Irakkrieg gestimmt und plädiert für weltweite Militäreinsätze, um "strategische Bedrohungen" auszuschalten. All das ist Lichtjahre entfernt von der derzeitigen Labour-Führung um Jeremy Corbyn, der einen sehr Amerika-kritischen Pazifismus vertritt und für einen Verbleib in der EU plädierte, wenn auch nur mit halbem Herzen.

Auch in der Europapolitik vertritt Stuart klare Kante: Die EU sei nicht reformfähig; dass Labour für einen Verbleib in der Union eintrete, werde den Rechtspopulisten von Ukip jene Wähler in die Arme treiben, die sich Sorgen über die Einwanderung machten. In der Euro-Schuldenkrise empfahl Stuart den Deutschen, aus der Euro-Zone auszutreten – das sei die "beste unter den schlechten Optionen". Das Brexit-Referendum am 23. Juni, sagte sie schließlich im Wahlkampf, sei die "letzte Chance, die Kontrolle zurückzuerlangen".

"Aus Deutschland wurde ich viel gefragt: Wie kannst du nur?", sagte Stuart im April in einem Interview. Sie sei aber eine britische Politikerin und handle nach der Frage: "Was ist im besten britischen Interesse?" Eins kann man Gisela Stuart wirklich nicht vorwerfen: dass sie nicht eindeutig Position bezöge.

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