Papst Franziskus "Das Mittelmeer darf kein großer Friedhof werden"

Straßburg · Europa muss nach den Worten von Papst Franziskus die christlichen Wurzeln seiner Identität wiederentdecken. Einen besonderen Schwerpunkt setzte der Heilige Vater während seiner Rede vor dem Europaparlament in Straßburg beim Thema Flüchtlingspolitik. Die EU müsse endlich eine gemeinsame Strategie finden.

Papst Franziskus besucht Europaparlament in Straßburg
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Papst Franziskus besucht für vier Stunden Straßburg

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Die Religion sei für den Kontinent nicht nur das fundamentale Erbe einer 2000-jährigen Vergangenheit, sondern biete auch die Grundlage für seine künftige soziale und kulturelle Entwicklung, sagte Franziskus am Dienstag vor dem Europaparlament in Straßburg.

Der christliche Beitrag sei keine Bedrohung für säkulare Staaten, sondern eine Bereicherung und Stärkung der gesellschaftlichen Solidarität, so der Papst. Er verlangte eine gemeinsame Strategie der EU-Staaten zur Bewältigung des Flüchtlingsproblems an den Südgrenzen Europas.

"Wir dürfen nicht zulassen, dass das Mittelmeer ein großer Friedhof wird", sagte er. Das Kirchenoberhaupt war zu der Rede von Europaparlamentspräsident Martin Schulz eingeladen worden.

Ein Europa, das nicht mehr offen sei für Transzendenz, riskiere, langsam seine eigene Seele und seinen "humanistischen Geist" zu verlieren, sagte Franziskus. Die Kirche wolle helfen, ein gegenwärtiges "Vakuum der Ideale" neu zu füllen. Europa wirke heute oft alt, müde und ohne Selbstvertrauen angesichts seines drohenden Bedeutungsverlusts in der Welt.

Gleichzeitig nehme das Vertrauen der Bürger in die Gestaltungskraft der EU ab. Er wolle dem Kontinent daher eine "Botschaft der Hoffnung und der Ermutigung" bringen, sagte Franziskus. In der gegenwärtigen Krise liege die Chance zu einem stärkeren Zusammenhalt der Staaten.

Der Papst warnte vor einem fehlgeleiteten Menschenrechtsverständnis, das immer mehr und mehr Rechte für den Einzelnen fordere, ohne zu beachten, dass jeder Mensch Teil einer Gesellschaft sei, "in dem seine oder ihre Rechte verbunden sind mit denen anderer und dem Gemeinwohl".

Ausufernder Individualismus, der den einzelnen Menschen absolut setze, führe letztlich zu Einsamkeit. Diese Einsamkeit sei heute "eine der verbreitetsten Krankheiten in Europa". Parlamentspräsident Schulz wertete die Rede als eine Ermutigung für die EU sowie für eine gute Zukunft Europas. Er dankte dem Papst mit den Worten: "Sie sind eine Persönlichkeit, die Orientierung gibt in Zeiten der Orientierungslosigkeit."

Im Anschluss sprach der Papst vor dem Europarat: Europa müsse seine christlichen Wurzeln neu entdecken und wieder stärker für Frieden und Versöhnung arbeiten, forderte er. Es genüge nicht, Kriege einzudämmen, sagte Franziskus am Dienstag in Straßburg. Notwendig sei die Förderung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat. Wahrer Frieden gründe stets auf der "Versöhnung der Menschen" und könne nicht aufgezwungen oder zweckbedingt sein.

Franziskus ist der zweite Papst, der vor dem Europaparlament spricht.
1988 hatte Johannes Paul II. in Straßburg eine Rede vor den Abgeordneten gehalten. Sie gilt als ein Meilenstein auf dem Weg zur EU-Osterweiterung. Nach der Ansprache im Parlament fuhr Franziskus weiter in den Europarat, wo er zur Stunde seine zweite Europa-Rede hält. Gegen 14 Uhr fliegt er zurück nach Rom.

(KNA)
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