Jean-Claude Juncker Die Agenda des neuen EU-Kommissionschefs

Strassburg · Jean-Claude Juncker will ein starker Kommissionspräsident werden. Daran ließ er am Dienstag keinen Zweifel. "Ich werde weder der Sekretär des Rates noch der Diener des Europaparlaments sein", stellte der 59-Jährige vor der Abstimmung über seine Personalie im Straßburger Plenum klar.

Das ist Jean-Claude Juncker
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Foto: afp, TS/AG

Dem Ergebnis tat dies keinen Abbruch: 422 Abgeordnete stimmten für den Luxemburger — maßgeblich Christdemokraten, Sozialisten und Liberale. 376 Ja-Stimmen hätte Juncker benötigt.

Stark wie keiner Wenn er im Herbst auf dem Chefsessel der Brüsseler EU-Exekutive Platz nimmt, kann er sich stärker fühlen als seine Amtsvorgänger. Denn nie zuvor konnte ein Kommissionschef behaupten, indirekt von den Bürgern gewählt worden zu sein. Juncker gewann als Spitzenkandidat der EU-Christdemokraten die Europawahl. Europaparlament und Mitgliedstaaten stellten sich nun mehrheitlich hinter ihn — auch wenn die Staats- und Regierungschefs sich mit dem Automatismus zwischen Wahlsieg und Kommissions-Chefposten schwer taten.

Eine größere demokratische Legitimation hat niemand in der Europapolitik. Kein Wunder, dass Juncker sich nicht mit der Rolle des Chef-Verwalters der Brüsseler Gesetzesmaschine mit ihren 33.000 Beamten zufriedengeben will. "Die neue Europäische Kommission wird sehr politisch sein", kündigte Juncker an.

Mittelgroße Ziele Stillstand will Juncker nicht dulden. Er kündigte gestern einen "Neustart" und eine "breite Reformagenda" für die EU an. Den ganz großen Wurf — etwa eine Vertragsreform — erwähnte er aber lieber nicht. Er weiß, dass dafür die Unterstützung der EU-Staaten fehlt. Deshalb steckt er sich machbare, mittelgroße Ziele.

So will der Christsoziale bis Februar 2015 ein Wachstumsprogramm vorlegen, das innerhalb von drei Jahren private und öffentliche Investitionen in Höhe von 300 Milliarden Euro bringen soll - unter anderem durch kluge Nutzung der EU-Strukturfonds und durch die Instrumente der Europäischen Investitionsbank. Ein Ausbau des Binnenmarkts — vor allem im digitalen Bereich — soll noch einmal bis zu 450 Milliarden Euro an Wachstumspotenzial bringen. Zudem strebt Juncker eine Wirtschaftsregierung und ein Budget für die Eurozone an. Aus letzterem sollen Staaten unterstützt werden, die schmerzhafte Strukturreformen angehen. Den Stabilitätspakt will Juncker nicht antasten (wie Angela Merkel es verlangt), aber die darin vorhandenen Spielräume flexibler nutzen, wie Italien und Frankreich es fordern. Kurzum: Er will sozialer konsolidieren, sparen, ohne die Wirtschaft abzuwürgen.

Nicht ohne Schulz Um möglichst viel von seinem Programm umsetzen zu können, braucht Juncker mächtige Verbündete. Martin Schulz werde einer seiner "Hauptgesprächspartner" in der EU sein, sagte Juncker gestern. Der Sozialdemokrat sagte ihm "volle Unterstützung" zu, machte aber kein Hehl daraus, dass er die Ernennungsurkunde für den Kommissionschef-Posten lieber selbst bekommen hätte. Angeblich sagte der Luxemburger dem unterlegenen Rivalen Schulz noch in der Wahlnacht zu, ihn als Vize durchzusetzen.

Juncker legte sich dann aber nicht mit der Kanzlerin an, die CDU-Kommissar Günther Oettinger in Brüssel halten will. Schulz bekam als Trostpreis eine zweite Amtszeit als Parlamentspräsident. Doch klar ist: Ohne informelle große Koalition in der EU-Volksvertretung kann Juncker seine Agenda vergessen, weil die Mehrheit für seine Gesetzesvorhaben fehlt. Um Schulz und die Sozialdemokraten auf seine Seite zu ziehen, hat Juncker ihnen den Posten des Währungskommissars versprochen. Als wahrscheinlich gilt, dass der Franzose Pierre Moscovici über die Euro-Stabilitätsregeln wacht. Paris will die Regeln aufweichen, die Kanzlerin hingegen auf keinen Fall.

Probleme mit Merkel und Cameron? Angela Merkel ist Junckers wichtigste Partnerin im Kreis der Staats- und Regierungschefs. Sie sorgte mit für seine Kür, will aber keinen allzu starken Kommissionschef. Konflikte sind programmiert. Auch mit den Briten: Premier David Cameron lehnte Juncker von Anfang an ab. Ein Mann der Vergangenheit könne die EU nicht fit für die Zukunft machen, so Camerons Argument. Juncker will die Insel unbedingt in der EU halten. Sollte Großbritannien beim Referendum 2017 für den EU-Austritt stimmen, könnte das Junckers Gesamtbilanz gründlich verhageln.

(RP)
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