Analyse Die diskrete Macht der EU-Lobbyisten

Brüssel · In Brüssel sind über 15.000 Interessenvertreter aktiv, darunter auch Hunderte Deutsche. Sie sind für Arbeitgeber von A wie Adidas bis Z wie ZDF tätig. Kritisiert werden vor allem finanzstarke Organisationen. Nun soll es eine Meldepflicht geben.

Wer glaubt, dass seine Interessen im fernen Brüssel nicht vertreten würden, irrt. Es geschieht nur anders als gedacht. Neben der eigenen Regierung und den Europaabgeordneten aus der eigenen Region existiert ein gewaltiges Geflecht von mindestens 15.000 Lobbyisten, die ein Sammelsurium von Partikularinteressen in die EU-Kommission, ins EU-Parlament und in den Rat der 28 europäischen Regierungen tragen.

Das fängt damit an, dass jeder Mensch auch Verbraucher ist und der europäische Dachverband der Verbraucherzentralen mit einem großen Büro in Brüssel sitzt. Gleiches gilt für den Bund der Steuerzahler auf EU-Ebene. Und wer in einer Gewerkschaft ist, wird vom DGB-Büro vertreten. Selbst die 1,3 Millionen Mitglieder der freiwilligen Feuerwehr in Deutschland haben dort einen Verband. Die Liste ließe sich fortsetzen.

Aber natürlich, und da muss man sich nichts vormachen, sind es die Interessen der Wirtschaft, die in diesem Bereich die Brüsseler Bühne dominieren. Rund 60 Prozent der Interessenvertreter sind Unternehmen oder deren Branchenverbänden zuzuordnen; das meiste Geld dafür haben sie ohnehin. Und es ist vor allem ihr Einfluss hinter den Kulissen, der immer wieder aufs Neue für Aufregung sorgt und 2008 zur Einführung des sogenannten Transparenzregisters geführt hat, das EU-Kommission und Europaparlament seit 2011 gemeinsam unterhalten.

Der interessierte Beobachter bekommt dort einen - wenn auch noch unvollständigen und mühsam zusammenzustellenden - Überblick über die Brüsseler Lobbyistenszene. Schon besser klappt das auf der Website Lobbyfacts. So ist zum Beispiel schnell ersichtlich, dass Deutschland mit 856 Lobbyorganisationen nach Belgien die zweitmeisten stellt. De facto sind es die meisten, weil viele der Organisationen lediglich ihren Sitz in Belgien angegeben haben, aber für Unternehmen in ganz anderen Ländern aktiv sind. Zu finden sind aber auch jeweils ein Unternehmen aus Indien und Israel sowie drei aus Australien und vier aus Kanada - dem Land, mit dem die EU gerade das umstrittene Ceta-Abkommen ausgehandelt hat.

Der einzige chinesische Konzern, der Handyhersteller Huawei, schaffte es mit einem Budget von 3 Millionen Euro auch gleich in die Top Ten der Unternehmen, die das meiste Geld in den Kampf um Aufmerksamkeit und Einfluss stecken. Angeführt wird die Liste vom Tabakkonzern Philip Morris mit fünf Millionen Euro pro Jahr und zehn Mitarbeitern im Brüsseler Büro. Es folgen der Mineralölkonzern Exxon und der Software-Riese Microsoft. Der "Branchenprimus" ist gleichzeitig ein Beispiel dafür, dass die Angaben stets auch mit Vorsicht zu genießen sind. An die Öffentlichkeit gelangte Dokumente belegen, dass Philip Morris - als im vergangenen Jahr eine Verschärfung der EU-Tabakrichtlinie verhandelt wurde - zeitweise rund 160 Angestellte auf das Thema angesetzt hatte. Zugleich zeigt der Fall aber auch, dass Lobbyisten nicht immer alles bekommen, was sie wollen. Denn die Tabakrichtlinie wurde dennoch verschärft.

Auf Platz fünf folgt mit Siemens das erste deutsche Unternehmen. Laut Transparenzregister investiert es 4,3 Millionen Euro im Jahr dafür, dass 21 Beschäftigte seine europäischen Interessen vertreten. Die Interessen sind so kunterbunt wie der Konzern selbst - sie reichen von der Finanzmarktregulierung über die nächste Eisenbahnreform bis hin zum europäischen Erneuerbare-Energien-Gesetz. Auf den Plätzen sieben und elf folgen Bayer und Daimler. Der Stuttgarter Autobauer gibt an, 2.618.000 Euro für die Interessenvertretung auf EU-Ebene auszugeben und zehn Mitarbeiter damit betraut zu haben. Der Zusatz freilich ist interessant: "Nicht dauerhaft in Brüssel eingesetzte Mitarbeiter sind anteilig erfasst." Zu vermuten ist, dass andere Unternehmen sich nicht die Mühe machen, diese überhaupt zu berücksichtigen. Ohnehin ist nur über Umwege ersichtlich, wie viele Lobbyisten in ein und dieselbe Richtung arbeiten. Beispiel wieder Daimler: Zwar haben die französischen und italienischen Fahrzeughersteller beim aktuellen Streit über CO2-Abgaswerte ganz andere Interessen vertreten als die Stuttgarter. Gleichwohl gibt es viele Felder, auf denen gemeinsam agiert wird - nicht zuletzt im europäischen Dachverband, der wie sein deutsches Mitglied VDA in Brüssel aktiv ist.

Nicht nur die großen Branchen Automobil, Chemie oder Finanzen sind in Brüssel aktiv, es geht querbeet. Allein aus Deutschland sind 135 Unternehmen direkt in Brüssel tätig: A wie Adidas, B wie Bosch, C wie Celesio, D wie Deutsche Bahn, E wie Eon und so weiter und so fort. Und natürlich sind auch Nichtregierungsorganisationen und öffentlich-rechtliche Anstalten mit von der Partie; unter W und Z stehen zum Beispiel die Umweltschützer des WWF und das ZDF.

Trotz dieser langen Aufzählungen fehlen noch immer Unternehmen, die nachweislich einen Sitz in Brüssel haben - Erhebungen der Anti-Lobby-Aktivisten von Alter-EU zufolge 27 Prozent der ortsansässigen. Zu den prominenten Beispielen zählen Apple, Heineken oder Time Warner. Ein weiterer Kritikpunkt: Immer wieder enthält das Transparenzregister auch offensichtlich falsche Angaben. So gibt etwa die US-Investmentfirma Black Rock Lobbykosten in Höhe von 125 000 Euro im Jahr an, die Brüsseler Lobbyagentur Fleishman-Hillard bekommt aber vom selben Unternehmen 225 000 Euro für den selben Zweck, die Black Rock aber nicht angibt.

Die neue EU-Kommission hat den lauten Ruf nach einem überarbeiteten, vor allem aber verpflichtenden Transparenzregister nun erhört. Der für das Thema zuständige Kommissionsvize Frans Timmermans hat bereits einen entsprechenden Gesetzentwurf in seiner Amtszeit angekündigt.

(RP)
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