Interview mit EU-Politiker Edmund Stoiber "PKW-Maut für Ausländer mit EU-Recht vereinbar"

Brüssel · Edmund Stoiber (72) durchforstet seit November 2007 im Auftrag der EU-Kommission das Brüsseler Regelwerk auf überflüssige Bürokratie. Der ehemalige Ministerpräsident Bayerns beendet seine ehrenamtliche Tätigkeit im Herbst kommenden Jahres. Mit unserer Redaktion sprach der CSU-Ehrenvorsitzenden über die große Koalition, Brüsseler Regulierungswahn und die Europawahl.

Zeitlos schön: Stoibers Satzungetüme
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Sind Sie mit dem Berliner Koalitionsvertrag zufrieden?

Stoiber: Eine Kernbotschaft der Union im Wahlkampf war, dass der Staat mir den höchsten Einnahmen in seiner Geschichte auskommen muss und es keine Steuererhöhungen geben darf. Das ist erreicht worden — genauso wie der Ausschluss einer Haftungsübernahme für die Schulden anderer Euro-Länder. Dazu kommen wichtige Punkte wie die Mütterrente oder die PKW-Maut. Die Handschrift der Wahlsieger CDU und CSU ist deutlich sichtbar.

Das CSU-Herzensprojekt Maut ist unter Bedingungen im Koalitionsvertrag. Kann es eine Maut geben, die Einnahmen bringt, mit EU-Recht vereinbar ist und deutsche Autofahrer nicht belastet?

Stoiber: Die Maut für ausländische Pkw-Fahrer auf deutschen Autobahnen ist vor allem eine Frage der Gerechtigkeit - nicht allein der Mehreinnahmen. Die Bürger sind es leid, auf der Fahrt in den Urlaub in den Süden zur Kasse gebeten zu werden, während in Deutschland freie Fahrt für alle gilt.

Edmund Stoibers letzte Erklärung
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Und das EU-Verbot der Diskriminierung?

Stoiber: Die EU-Kommission hat jenen widersprochen, die mit dem Verweis auf Brüssel als Sündenbock die Debatte abwürgen wollten. Das EU-Recht erlaubt meines Erachtens eine Maut für Ausländer. Alle müssen erst einmal zahlen, die deutschen Autofahrer sollten dann über eine Senkung der Kfz-Steuer entlastet werden. Der nächste Schritt ist jetzt der konkrete Gesetzentwurf.

...von Peter Ramsauer als Minister?

Stoiber: Unabhängig von meiner persönlichen Wertschätzung: Personalien wurden mit Rücksicht auf den SPD-Mitgliederentscheid zurückgestellt.

Mit Peter Gauweiler hat die CSU einen ausgewiesenen EU-Kritiker zum Partei-Vize gemacht. Schwenkt die Partei pünktlich zur Europawahl auf einen EU-skeptischen Kurs?

Stoiber: Nein. Peter Gauweiler hat genau wie ich ein Grund-Credo von Franz-Josef Strauß verinnerlicht: Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland und Europa ist unsere Zukunft. Es gibt keinen Zweifel an diesem grundsätzlich pro-europäischen Kurs der CSU. Peter Gauweiler wird allerdings die Schwächen und Fehler der EU kontrovers und deutlich zur Sprache bringen.

Die da wären?

Stoiber: Brüsseler Zentralismus zum Beispiel. Die einzige Kompetenz, die Brüssel zur Stabilisierung des Euro noch braucht, liegt im Bereich der Haushaltsaufsicht. Da muss die Kommission ein Veto gegen unsolide nationale Etats bekommen, das hat sie bisher so nicht. Ansonsten muss auch einmal die Debatte Fahrt gewinnen, welche Kompetenzen aus Brüssel in die Hauptstädte wieder zurückverlagert werden können. Da erwarte ich von der neuen Bundesregierung, dass sie schnell Vorschläge macht.

Gehört zu den Schwächen auch die Größe der EU-Kommission?

Stoiber: Ja. Die Zahl der Kommissare sollte halbiert werden, ein Gremium mit 28 ist zu schwerfällig. Die EU-Exekutive wäre mit 14 Kommissaren bestens ausgestattet. Die meisten Kabinette in den Nationalstaaten arbeiten mit so einer Größenordnung gut und effizient. Derzeit gibt es wenige wichtige und zu viele verzichtbare Ressorts in der EU-Kommission, nur damit alle vertreten sind.

Verkleinerung heißt, dass auch Deutschland zeitweise keinen Kommissar hat. Ist das denkbar?

Stoiber: Auch das ist natürlich denkbar. Um alle EU-Mitgliedsstaaten weiter an der Kommission zu beteiligen, könnte ein System von Juniorkommissaren oder Staatssekretären eingeführt werden.

CSU-Forderungen wie der Rauswurf von Schuldensündern aus dem Euro klingen nach dem Versuch, der Alternative für Deutschland mit Blick auf die Europawahl das Wasser abzugraben...

Stoiber: Das Unbehagen der Bürger aufzunehmen und eine offene Auseinandersetzung über die Euro-Rettungspolitik zu führen, kann ein Erstarken von Populisten und Extremisten verhindern helfen. Doch die Währungsunion in ihrer jetzigen Form steht für mich nicht zur Debatte. Das hätte unvorhersehbare Negativ-Folgen für die Deutschlands Wirtschaft und Wohlstand. Die Zukunft des Euro entscheidet sich in Deutschland. Die Bundesrepublik hat aufgrund ihrer Stärke eine Führungsrolle in Europa, ob sie will oder nicht. Und deshalb ist es absolut positiv, dass wir nun eine große Koalition mit einer breiten pro-europäischen Mehrheit im Bundestag bekommen.

Mit der Forderung nach Volksentscheiden über Europa-Fragen ist die CSU in den Koalitionsverhandlungen bei der Schwesterpartei abgeblitzt. Werden Sie es weiterverfolgen?

Stoiber: Ja unbedingt. Ich halte es für absolut richtig, das Volk entscheiden zu lassen, ob die EU weiter wachsen und Staaten wie Serbien oder die Türkei aufnehmen soll.

Ist das nicht Wasser auf die Mühlen von Populisten?

Stoiber: Nein. Es bedeutet für die Politiker aber eine größere Verantwortung, zu erklären, warum sie bestimmte Entscheidungen für nötig halten. Genau das fehlt Europa. Wir brauchen wieder mehr Politiker, die das Positive, den Nutzen der EU für die Bürger verständlich machen — am besten anhand von konkreten Projekten.

Was könnte so ein Projekt sein?

Stoiber: Ein Datenschutzabkommen mit hohen Schutz-Standards zwischen Europa und Amerika zum Beispiel. Kein EU-Staat alleine kann Washington dazu bewegen, das haben die jüngsten Abhör-Skandale um den US-Geheimdienst NSA deutlich gezeigt.

Nach der Einigung in der Sache wir Schwarz-Rot jetzt über Posten reden. SPD-Mann Martin Schulz will unbedingt den deutschen Platz in der EU-Kommission, am liebsten gar den Chefsessel. Eine gute Idee?

Stoiber: Der deutsche Vertreter in der Kommission hat entscheidenden Einfluss auf Wohlstand und Wachstum in Deutschland. Denn die Kommission macht einen Großteil der Gesetze, die über die Wettbewerbsfähigkeit hiesiger Unternehmen mitentscheiden. Auch wenn ich Martin Schulz und sein Engagement persönlich schätze: Der Anspruch der CDU/ CSU muss es sein, diese mächtige und bedeutende Position aus ihren Reihen zu besetzen.

Mit wem?

Stoiber: CDU und CSU werden mit David Mc Allister und Markus Ferber sehr gute Spitzen-Kandidaten für die Europawahl aufstellen.

Die europäischen Konservativen tun sich schwer, einen Rivalen gegen Schulz als Gesicht der EU-Sozialdemokratie zu finden. Wer soll es machen?

Stoiber: Ich bezweifle, dass sich die Europäische Volkspartei auf einen gemeinsamen europäischen Spitzenkandidaten einigen wird. Ich glaube, dass wir mit nationalen Spitzenkandidaten antreten und nach den Wahlen im Licht des Ergebnisses entscheiden, wer unser Kandidat für die Kommissionsspitze ist. Das wäre auch besser, denn die Menschen sind noch nicht bereit für einen europäischen Wahlkampf mit Spitzenkandidaten aus anderen Ländern.

Sie sind 2007 mit einer Expertengruppe in Brüssel angetreten, um den EU-Bürokratiedschungel zu lichten. Wie lautet Ihre Zwischenbilanz?

Stoiber: Wir haben die Wirtschaft in Europa um Verwaltungskosten von jährlich rund 32,3 Milliarden Euro entlastet. Erleichterungen von weiteren fünf bis sechs Milliarden Euro sind auf dem Weg. Mittelfristig wird dadurch ein Anstieg des Bruttoinlandsproduktes der EU um 1,4 Prozent erwartet — das entspricht rund 150 Milliarden Euro. Damit haben wir unser Soll übererfüllt. Jetzt müssen die Mitgliedstaaten liefern.

Das heißt?

Stoiber: Immerhin ein Drittel der europäischen Bürokratie beruht auf schlechter Umsetzung in den Mitgliedsstaaten. Wenn alle Hauptstädte mitziehen, könnten nochmal 40 Milliarden Euro an Lasten für die Wirtschaft eingespart werden. Auch Deutschland gehört da bisher nicht zu den Musterschülern in Europa. Und: Auch die nationale Bürokratie muss deutlich reduziert werden!

Der Ärger um den geplanten Ölkännchen-Bann ist gerade verraucht, da kündigt die Kommission ein Verbot wattstarker Staubsauger und wassersparende Toilettenspülungen an. Wo bleibt die Selbstbeschränkung?

Stoiber: Kommissionschef José Manuel Barroso hat einen Mentalitätswandel versprochen. Frei nach dem Motto: Europa hält sich im Kleinen raus und beschränkt sich auf die großen Fragen. Nun muss er ernst machen. Deshalb wäre es konsequent, auf solche Regelungen zu verzichten. Sie werden von den Menschen als unnötige Gängelung aus Brüssel empfunden und schaden Europa mehr als sie der Umwelt nützen. Man muss nicht alles umsetzen, was die auch unter großem deutschen Beifall verabschiedete Ökodesign-Richtlinie ermöglicht. Am liebsten wäre mir ein Netto-Abbauziel - und für jedes neue Gesetz muss ein altes weg. Das ist leider nicht durchsetzbar — noch nicht.

Anja Ingenrieth führte das Gespräch.

(RP)
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