Abstimmung am 23. Juni Brok warnt Briten: Keine Neuverhandlungen nach Brexit

Straßburg · Deutliche Worte von Elmar Brok, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament: Die Briten sollten nicht darauf hoffen, nach einem Ja zum Austritt aus der EU später wieder eine neue Mitgliedschaft aushandeln zu können.

 Elmar Brok

Elmar Brok

Foto: afp, KAREN BLEIER

Es werde "keine Neuverhandlungen über einen neuen Deal geben", sagte Brok am Montag vor Journalisten in Straßburg. "Wir wollen auch keinen Präzedenzfall für andere Länder haben, dass es sich lohnt, erst einmal dagegen zu sein, um danach mehr rauszuholen."

Am 23. Juni können die Briten bei einem Referendum abstimmen, ob sie in der Europäischen Union bleiben oder diese verlassen wollen.

Brok sagte, die derzeitige britische Debatte über Gefahren der Migration aus der EU sei "eine erfundene Diskussion, die falsche und unbegründete Sicherheit vermittelt". Nach wie vor gebe es britische Grenzkontrollen. "Die Briten müssen nur sehen, dass der Schutz, den sie durch uns haben, etwa durch die Franzosen in Calais, dann wegfallen würde." Die britische Lage in Sachen Migration verschlechterte sich also.

Freizügigkeit muss bleiben

Zudem wollten die Briten unbedingt weiter vom Binnenmarkt profitieren - dafür müsse Freizügigkeit der Arbeitnehmer garantiert sein, sagte Brok. "Davon kriegen sie keine Ausnahme." Er verwies auf die Schweiz und Norwegen, die als mit der EU verbundene Nicht-Mitglieder ebenfalls Freizügigkeit gewähren müssen.

Es sei "im beiderseitigen Interesse, aber noch mehr im britischen Interesse, dass wir zusammenbleiben", sagte Brok. "Die Bereitschaft von unserer Seite ist da. Wir sollten die Fakten sprechen lassen und nicht die Emotionen der Vergangenheit."

Brok sagte, bei einem Ja zum Austritt aus der EU (Brexit) müsse diese Entscheidung respektiert werden. Die Mitgliedschaft sei dann beendet. Es werde danach lediglich "Scheidungsverhandlungen" geben: Dabei werde es beispielsweise darum gehen, welchen Anteil Großbritannien an den Pensionsverpflichtungen der EU gegenüber ihren Beamten tragen müsse.

Was denkt die Welt?

Wie sich die Briten am 23. Juni bei ihrem Brexit-Referendum entscheiden, hat Auswirkungen auf die ganze Welt. Der Internationale Währungsfonds spricht von erheblichen Unwägbarkeiten für die Weltwirtschaft, sollte Großbritannien die EU verlassen. Einige Länder spekulieren aber auch auf Vorteile, sollte es zum Brexit kommen. Eine Auflistung der wichtigsten Partner der Briten außerhalb der EU:

USA: Die US-Regierung will Großbritannien als elementaren Teil der EU behalten. US-Präsident Barack Obama stellte das bei seinem Besuch im Mai in London unmissverständlich klar. Er deutete auch an, dass ein US-Handelsabkommen mit Großbritannien nicht auf der Prioritätenliste steht. "Wir müssen uns um den großen Block kümmern", sagte Obama. Damit nahm er eine klare Position ein, schlug aber auch vielen Briten vor den Kopf. Konservative Kreise in den USA freuen sich dagegen schon auf eine Zusammenarbeit mit einem Premierminister Boris Johnson. Großbritannien könne im Falle eines Brexits belastende EU-Regulierungen über Bord werfen und hätte seine Grenzen wieder stärker unter Kontrolle, sagte Nile Gardiner von der konservativen Heritage Foundation.

China: Trotz einer Delle beim Wirtschaftswachstum hat die weiter aufstrebende Volksrepublik kein Interesse an einem Brexit. Chinesische Investoren nutzen London als Einfallstor in die EU, dafür schlugen sie in den vergangenen Jahren kontinuierlich Pflöcke ein. So kaufte etwa die staatliche Industrial and Commercial Bank of China erst vor kurzem einen riesigen Goldtresor in London mit einem Fassungsvermögen von 2000 Tonnen auf. Die Kooperation mit Großbritannien ist eng, das britische Finanzministerium gibt als einziges außerhalb Chinas Anleihen in Yuan aus. Ein Ausscheiden Großbritanniens und damit ein möglicher Bedeutungsverlust der Londoner City könnte diese Kooperation langfristig in Frage stellen.

Arabische Länder: Die Scheichs haben Unsummen von Geld in britischen Investments liegen. Sie sind an großen Banken ebenso beteiligt wie an Ölfirmen oder Immobilien. Zur Diskussion stehen Beteiligungen an Großprojekten zur Verbesserung der maroden britischen Infrastruktur, etwa bei Flughäfen oder Schienenverbindungen. Politik spielt dabei keine große Rolle, es geht ausschließlich ums Geld verdienen. Für die Briten ist das Risiko und Chance zugleich. Sollte sich für die Entwicklung der Milliarden-Investments der Araber ein Brexit als günstig herausstellen, könnte noch mehr Geld fließen. Genauso schnell würden sie ihre Petro-Dollars aber wohl verlagern, wäre das Gegenteil der Fall. Andererseits wären etwa Waffendeals der großen britischen Rüstungskonzerne wie Rolls Royce oder BAE ohne EU-Regelwerk einfacher.

Russland: Präsident Wladimir Putin ist der einzige Staatsmann eines größeren Landes, der Großbritannien einen Brexit anrät. Gerätselt wird, wie gut dieser Rat gemeint ist. Beide Staaten verbindet eine Hassliebe. Großbritannien ist wirtschaftlich aufs Engste mit Russland verbunden, wenn nicht auf das Riesenreich angewiesen. Viele Oligarchen halten Unsummen in Londons Banken, repräsentative Immobilien in London sind in russischem Besitz, die Ölkonzerne BP und Rosneft arbeiten eng zusammen. Die Zusammenarbeit könnte in der Tat ohne EU leichter werden, wenngleich eher nicht zum Vorteil der Briten. Andererseits sind die politischen Beziehungen belastet, spätestens seit dem mysteriösen Tod des einstigen russischen Spions Alexander Litvinenko in London.

Japan: Die japanischen Autobauer sind ein enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor für Großbritannien. Die britische Autoindustrie hat sich zuletzt stark erholt, ist zum Musterknaben für die beabsichtige britische Kehrtwende zurück zur Industrienation geworden. Nissan ist der mit Abstand größte Autobauer in Großbritannien, auch Toyota und Honda unterhalten große Werke. 57 Prozent der britischen Autoexporte gehen in die EU-Länder. Nissan-Chef Carlos Ghosn hatte bereits vielsagend angedeutet: "Wenn es Änderungen gibt, müssen wir unsere Strategie überdenken." Die Drohungen wurden jedoch zuletzt leiser, ein schnelles Deinvestment in Großbritannien steht wohl nicht mehr im Raum.

(felt/dpa)
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