EU-Chefs tagen ohne Cameron In Brüssel beginnt eine neue Ära

Brüssel · London hat nach dem Brexit-Referendum noch nicht einmal offiziell seinen Wunsch mitgeteilt, die EU zu verlassen. Doch Europa schafft Tatsachen. Erstmals treffen sich die Chefs von 27 EU-Staaten in Brüssel - ohne das austrittswillige Großbritannien.

EU-Gipfel nach dem Brexit-Votum
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Nach dem Brexit-Referendum hat der EU-Gipfel erstmals ohne den britischen Premier David Cameron getagt. Die anderen 27 Staats- und Regierungschefs kamen am Morgen zusammen, um über "politische und praktische Auswirkungen" des Austritts Großbritanniens zu sprechen. Zudem wollen sie eine Diskussion "über die Zukunft der Europäischen Union mit 27 Mitgliedstaaten" beginnen.

Laut Diplomaten ist eine Erklärung der 27 geplant. Ein Entwurf wurde demnach in der Nacht den Mitgliedstaaten vorgelegt. Die Staats- und Regierungschefs werden darin voraussichtlich ihr Bedauern über den britischen Austritt und ihre Geschlossenheit ausdrücken sowie einen weiteren Gipfel im September ankündigen, bei dem über die weiteren Schritte beraten werden soll.

Kritik gab es an dem Vortreffen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi in Berlin. Sie hatten schon am Montag in kleinem Kreis über die Konsequenzen aus dem drohenden ersten Austritt eines EU-Mitgliedstaats beraten. Luxemburgs Ministerpräsident Xavier Bettel forderte, die verbleibende EU aus 27 Staaten müsse "weiter ein geschlossenes Bild abgeben". Er sei "nicht begeistert", wenn es "so kleine Clubs" gebe, "wo verschiedene Leute zusammen reden".

Am Dienstag hatten sich noch die Vertreter aller 28 EU-Staaten getroffen. Bundeskanzlerin Merkel machte nach der Gipfeldebatte mit dem scheidenden Premier Cameron deutlich, dass sie das britische Austrittsvotum für unumstößlich hält. "Ich sehe keinen Weg, das wieder umzukehren", sagte sie. Dies sei nicht die Stunde von "wishful thinking" - von Wunschdenken. "Das Referendum steht da als Realität", sagte Merkel. Sie begrüßte den geplanten Sondergipfel. "Das ist ein guter nächster Schritt."

Brexit-Gegner demonstrieren für die EU
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Foto: afp

Cameron resümierte: "Unsere Partner in der Europäischen Union sind wirklich traurig, dass wir vorhaben, diese Organisation zu verlassen." Auch er sei traurig, weil er Großbritannien als Mitglied einer reformierten EU habe halten wollen. Er habe viele Zusicherungen erhalten, dass sein Land bis zum Tag seines Austritts ein zahlendes EU-Mitglied mit allen Rechten bleibe, sagte Cameron.

Die EU-Partner forderten ihn auf, so schnell wie möglich Klarheit über den Austritt zu schaffen. "Wir haben nicht Monate Zeit zum Nachdenken", sagte EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Bevor London seinen Austrittswunsch nicht offiziell in Brüssel mitteile, werde es keine Verhandlungen geben. Der EU-Vertrag setzt für Austrittsverhandlungen einen Rahmen von zwei Jahren.

Bei der Brexit-Abstimmung in der vergangenen Woche hatten 51,9 Prozent der Wähler für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU gestimmt. Der konservative Cameron hatte daraufhin seinen Rücktritt für den Herbst angekündigt.

EU-Gipfelchef Tusk sagte, die Staats- und Regierungschefs wollten Einzelheiten über die Absichten der britischen Regierung wissen. Cameron habe deutlich gemacht, dass die Entscheidung über den Austrittsantrag von der neuen Führung in seinem Land gefällt werden solle - das bedeutet also frühestens im Herbst, falls es beim Londoner Zeitplan bleiben sollte. Die Chefs hätten Verständnis dafür, "dass einige Zeit nötig ist, damit sich der Staub im Vereinigten Königreich legen kann", sagte Tusk.

Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, warnte in der Spitzenrunde vor den wirtschaftlichen Folgen eines Brexits. Das Wachstum in der Eurozone könne in den nächsten drei Jahren um insgesamt 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte geringer ausfallen als angenommen, warnte der mächtige Notenbanker laut Diplomaten. Ein geringeres Wachstum in Großbritannien werde Auswirkungen auf die Eurozone als wichtigsten Handelspartner der Briten haben.

Frankreichs Präsident François Hollande will bei den Verhandlungen über den künftigen Zugang Großbritanniens zum europäischen Binnenmarkt keinerlei Kompromisse akzeptieren. Wenn das Königreich weiterhin Zugang habe wolle, müsse es die vier Grundfreiheiten respektieren, sagte er in Brüssel. Es sei ausgeschlossen, dass Großbritannien vom freien Verkehr von Waren, Dienstleistungen und Kapital profitiere, gleichzeitig aber die Freizügigkeit von Personen einschränke. "Es sind die vier Freiheiten oder keine", sagte er. Zudem werde Großbritannien wie zum Beispiel das Nicht-EU-Land Norwegen Geld in den EU-Haushalt einzahlen müssen.

(crwo/dpa)
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