EU-Debatte um Türkei Merkel findet keine Mehrheit für Abbruch der Beitrittsgespräche

Tallinn · In der Europäischen Union gibt es aktuell keinen Konsens in der Frage des von Deutschland verlangten Abbruchs der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei.

 Die Teilnehmer des EU-Außenministertreffens in Tallinn.

Die Teilnehmer des EU-Außenministertreffens in Tallinn.

Foto: ap, IAS

Beim EU-Außenministertreffen in Estland sprachen sich am Donnerstag mehrere Länder gegen ein Ende der Gespräche aus. Die estnische EU-Ratspräsidentschaft erwartete dieses Jahr keinen Beschluss mehr und warnte vor "voreiligen Entscheidungen".

"Wir wissen, dass es Probleme mit Menschenrechten in der Türkei gibt", sagte Finnlands Außenminister Timo Soini in der estnischen Hauptstadt Tallinn. "Aber ich bin nicht dafür, die Verhandlungen zu stoppen." Dialog mit Ankara sei der beste Weg, um mit Problemen umzugehen.

Eine Absage an einen Abbruch kam auch aus Litauen: "Nein, nein, nein", sagte Minister Linas Linkevicius. "Wir sollten den Prozess fortsetzen - es ist nicht einfach, aber wir müssen zu Vereinbarungen stehen."

"De facto sind die Verhandlungen schon gestoppt und eingefroren"

Belgiens Minister Didier Reynders sah derzeit keinen Handlungsbedarf. "De facto" seien die Verhandlungen schon "gestoppt" und "eingefroren". "Es kommt nicht in Frage, irgendetwas anderes ins Auge zu fassen."

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron kündigte an, er wolle einen "Bruch" zwischen der EU und der Türkei "verhindern". Diese sei "ein wesentlicher Partner". Es sei aber klar, dass das Vorgehen der türkischen Regierung "nicht ohne Folgen bleiben" könne. Macron nannte im Gespräch mit der griechischen Zeitung "Kathimerini" die geplante Ausweitung der Zollunion mit dem Land.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am vergangenen Freitag nach der Festnahme von zwei weiteren deutschen Staatsbürgern gesagt, für sie kämen weitere Verhandlungen über die Zollunion "unter diesen Umständen nicht in Frage". Beim TV-Duell zur Bundestagswahl am Sonntag hatte sie sich dann ebenso wie ihr Herausforderer Martin Schulz (SPD) klar gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen.

Österreich lobt Deutschland

Einzig Österreichs Außenminister Sebastian Kurz, der schon lange für den Abbruch wirbt, lobte bei dem Ministertreffen den "Meinungsschwenk" in Deutschland. Gabriel sah sich unter seinen Kollegen aber nicht weitgehend isoliert. "Ich weiß, dass der französische Präsident sagt, er will die Beziehungen nicht abbrechen", sagte er. "Aber wir wissen doch, dass die Stimmungslage in Wahrheit in vielen anderen Ländern ganz genau so ist."

Für ein vollständiges Ende der Beitrittsverhandlungen wäre ein einstimmiger Beschluss der EU-Mitgliedstaaten nötig. Allerdings gibt es auch die Möglichkeit, diese auszusetzen. Dafür würde eine qualifizierte Mehrheit ausreichen. Nötig wären mindestens 16 EU-Länder. Die Wiederaufnahme der Gespräche könnte dann nur durch einen einstimmigen Beschluss erfolgen.

"Ich erwarte nicht, dass die Europäische Union irgendwelche Entscheidungen in diesem Jahr fällt", sagte Estlands Außenminister Sven Mikser, dessen Land bis Jahresende die Arbeit der Mitgliedstaaten auf EU-Ebene organisiert. Er erwarte erst Anfang 2018 eine Einschätzung der EU-Kommission, "ob und zu welchem Grad die Türkei" weiter die Kriterien für die Beitrittsverhandlungen erfülle.

Die Beitrittsgespräche mit Ankara laufen seit 2005 und waren immer wieder von langen Phasen des Stillstands geprägt. Zuletzt hatte die EU 2015 und 2016 im Zuge der Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingskrise die Verhandlungen auf zwei neue Politikfelder ausgedehnt. Nach den Massenverhaftungen in der Türkei beschlossen die EU-Staaten aber im Dezember, die Gespräche bis auf Weiteres nicht mehr auszuweiten.

(felt)
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