Merkel muss Zugeständnisse machen EU-Gipfel beschließt Schuldenbremsen

Brüssel · Der EU-Gipfel in Brüssel hat einen Fiskalpakt beschlossen. Alle Länder bis auf Großbritannien und überraschend auch Tschechien verpflichten sich, nationale Schuldenbremsen nach deutschem Vorbild einzuführen. Kanzlerin Merkel feiert den Kompromiss als Meisterleistung. Doch auf den Fluren herrschte Empörung über Berlin.

 Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und Mario Monti zeigten weitgehend Einigkeit.

Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und Mario Monti zeigten weitgehend Einigkeit.

Foto: dpa, Philippe Wojazer , Pool

25 der 27 EU-Länder geloben strikte Haushaltsdisziplin. Gipfelchef Herman Van Rompuy stellte die Ergebnisse des Treffens am Montagabend nach dem EU-Sondergipfel in Brüssel vor. Großbritannien hatte schon im Dezember erklärt, bei dem Fiskalpakt nicht mitmachen zu wollen. Der Ausstieg Tschechiens jedoch kam überraschend. Die Regierung habe "verfassungsrechtliche Vorbehalte" angegeben, sagte Sarkozy.

"Es wird ein Pakt zu 25", gab der französische Staatschef Nicolas Sarkozy nach der Einigung am Montagabend auf dem EU-Gipfel in Brüssel bekannt. Merkel erklärte, der Abschluss in so kurzer Zeit sei "eine Meisterleistung, das Ergebnis ist gut".

Im Ringen um die Rettung Griechenlands gab es am Montag keinen Durchbruch, Sarkozy zeigte sich aber "guter Hoffnung", dass auch hier "in den kommenden Tagen" eine Einigung zustande komme.

Der Fiskalpakt Die 25 Länder verpflichteten sich in diesem Fiskalpakt zum Sparen und zur Einführung einer Schuldenbremse, wie sie Deutschland bereits eingeführt hat. Die Staaten akzeptieren zudem eine schärfere Haushaltskontrolle der EU sowie härtere Strafen gegen Schuldensünder. Das jährliche Staatsdefizit eines Landes darf 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft im Regelfall nicht übersteigen.

An dem Pakt wollen neben den Briten zunächst auch die Tschechen wegen "Ratifizierungsvorbehalten" nicht mitmachen, sagte der schwedische Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt am Abend. Unterzeichnet werden soll der zwischenstaatliche Vertrag von allen 17 Euro-Staaten und acht Nicht-Euro-Staaten im März, damit er bis zum Jahresende in Kraft treten kann.

Neben den Schuldenbremsen, die das strukturelle Defizit auf 0,5 Prozent begrenzen, schreibt der Pakt auch automatische Sanktionen fest. Wenn eine Vertragspartei gegen die Regeln verstößt, werden Strafen eingeleitet, bis zur Höhe von 0,1 Prozent der Wirtschaftskraft. Die Bußen sollen in den permanenten Rettungsfonds ESM eingezahlt werden. Notkredite aus dem ESM können nur die Länder beantragen, die den Fiskalpakt ratifiziert haben.

Der Vertrag hierzu soll spätestens Anfang 2013 in Kraft treten. Als Gegenleistung für den Fiskalpakt fordern jedoch viele EU-Partner mehr Solidarität von Deutschland, sprich: eine Aufstockung der Rettungs-Hilfen.

Unklarheit über Kontrolle Die EU-Kommission soll den Vereinbarungen zufolge überprüfen, ob die Länder die Schuldenbremsen auch in nationales Recht überführen und einhalten. In einem zentralen Punkt musste Deutschland jedoch klein beigeben: Verstößt ein Land gegen die neuen Regeln, soll nicht wie von Berlin gewünscht die EU-Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen dürfen.

Stattddessen sich die EU-Länder gegenseitig verklagen. Das heißt, letztlich müsste etwa Berlin Paris vor den Kadi zerren. Das ber gilt als politisch äußerst heikel. Die Rücksichtnahme unter den EU-Finanzministern hat bislang verhindert, dass Sanktionen gegen einen Bruch des längst geltenden Stabilitätspaktes verhängt worden wären.

Die Bundesregierung wollte dies durch ein Klagerecht für die EU-Kommission umgehen. Frankreich ging diese Aufwertung der EU-Exekutive zu weit. Diese Einschränkung könnte die Wirksamkeit des Spar-Paktes gefährden.

Merkel glaubt, dass die Anleger trotz dieser Kompromisse das Vertrauen in die Währungsunion wiedergewinnen werden. Sie gab sich überzeugt: "Es wird in Zukunft in jedem Land eine Schuldengrenze geben und damit eine Sicherheit, dass die Haushaltsdisziplin eingehalten wird."

Empörung über deutschen Vorschlag Die deutsche Forderung nach einem EU-Sparkommissar für Athen löste bei den Partnern Empörung aus. Einen Haushalts-Vormund nur für Griechenland einzusetzen, sei nicht akzeptabel, sagte Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker. Die "wenig intelligenten Äußerungen" würden die Spannungen zwischen den Mitgliedsstaaten "anfachen, statt abzubauen", zürnte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz.

Auch Sarkozy ließ in der Frage keinerlei Kompromissbereitschaft erkennen. "Eine Vormundschaft für ein Land, das kommt nicht infrage", sagte Sarkozy. Merkel war in Brüssel zuvor zurückgerudert: Da werde eine Diskussion geführt, "die wir nicht führen sollten".

Und Griechenland? In der Sache kam der EU-Gipfel bei der Griechenland-Rettung nicht voran. Zwar ist mit den Banken ein Abkommen vorbereitet, das einen Verzicht des Privatsektors von rund 70 Prozent bedeutet. Doch was die Griechen im Gegenzug leisten müssen, und ob die Euro-Länder ihren zugesagten Beitrag von 130 Milliarden Euro aufstocken, darüber wurde am Montag gar nicht im Detail gesprochen.

Ohne den Bericht der Experten der Troika aus EZB, IWF und EU-Kommission könne kein Beschluss gefasst werden, stellte Merkel klar. Auf Details der Prüfung der genauen Notlage an der Akropolis warteten die Staats- und Regierungschefs in Brüssel vergeblich. Damit ist erst in den nächsten Tagen zu rechnen. Einen weitereren Sondergipfel oder ein Dringlichkeitstreffen der Euro-Finanzminister wollte Sarkozy jedenfalls nicht ausschließen.

Der ständige Rettungsschirm Zur akuten Krisenabwehr gaben die Euro-Staaten grünes Licht zum vorzeitigen Start des Rettungsfonds ESM im Juli. Die Diskussion über eine Erhöhung des ESM-Kreditvolumens von 500 Milliarden Euro steht aber erst beim EU-Gipfel im März an.

Pakt für Wachstum und Beschäftigung Angesichts der drohenden Rezession beschloss der Gipfel, Wachstum und Beschäftigung anzukurbeln. Rund 82 Milliarden Euro aus nicht ausgeschöpften EU-Fördermitteln sollen für den Mittelstand und die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit fließen.

Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht etwa in Spanien fast 50 Prozent. "Wir müssen mehr tun, um Europa aus der Krise zu holen", heißt es in der Gipfel-Erklärung. Rund 82 Milliarden Euro an EU-Strukturmitteln sollen effizienter eingesetzt werden. Unterstützung signalisierte der Gipfel auch für die Einsetzung von Euro-Projektbonds zur Kofinanzierung grenzüberschreitender Infrastrukturprojekte.

(REU/RP/dapd)
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