Neustart beim EU-Gipfel in der Slowakei Der Geist von Bratislava scheint zu wirken

In der slowakischen Hauptstadt Bratislava trafen sich die EU-Regierungschefs, um über den künftigen Kurs der Union zu beraten. Im Zentrum der Debatten standen der Brexit und die Flüchtlingskrise.

 Die Staats- und Regierungschefs aus den verbliebenen 27 EU-Ländern in Bratislava.

Die Staats- und Regierungschefs aus den verbliebenen 27 EU-Ländern in Bratislava.

Foto: dpa, fs jak

Informelle Gipfeltreffen auf EU-Ebene wie jetzt in Bratislava sind neu. Erst seit dem Brexit-Votum gibt es dieses Format. Es wurde nötig, weil die 27 Mitglieder der künftigen EU sich absprechen wollen, wie es weiter geht. Zum informellen Rahmen gehört, dass es keine offiziellen Beschlüsse gibt, und damit auch kein offizielles Gipfeldokument. Und dennoch ist das Treffen, das am Freitag in in der slowakischen Hauptstadt hinter den hohen Mauern der Burg über die Bühne ging, wichtig.

Es wird tiefer in die Geschichte der EU eingehen als viele offizielle Treffen. Die Bedeutung ist schon daran zu erkennen: Wohl noch nie ist ein Treffen der Regierungschefs so intensiv vorbereitet worden. Von Ratspräsident Donald Tusk, von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, von der deutschen Kanzlerin, die buchstäblich jeden ihrer Kollegen im August getroffen hat. Nur den griechischen Regierungschef Alexis Tsipras hat sie nicht persönlich getroffen, dafür wurde ausgiebig telefoniert.

"Gute, offene, sehr konstruktive Stimmung"

Die intensive Vorbereitung hat sich offensichtlich ausgezahlt. Nach Auskunft aus den Delegationen gab es eine "gute, offene, sehr konstruktive Stimmung", als sich die 27 morgens an einen Tisch setzten und in einem offenen Meinungsaustausch eine Bestandsaufnahme der Lage in Europa machen. Dabei ist klar, dass es große Meinungsverschiedenheiten gibt. Und dennoch waren sie sich in einem Punkt einig: Der Brexit soll ein Weckruf sein. Und aus Bratislava soll die Botschaft an die Bürger in der EU gehen: Europa will vorankommen. Die Regierungschefs sind sich einig, dass die Bürger dies auch merken sollen.

Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande setzen ein Zeichen. Sie gehen nach dem Ende des Gipfels zusammen vor die Presse. Das ist ungewöhnlich. Das soll unterstreichen, dass der deutsch-französische Motor arbeitet. Merkel beschwört den "Geist von Bratislava". Hollande sagt: "Nach dem Brexit ist es umso wichtiger, dass Deutschland und Frankreich Verantwortung wahr nehmen."

Zur Choreographie, die zwischen Brüssel, Berlin und den anderen Hauptstädten abgestimmt war, gehört, dass Politikfelder identifiziert wurden, auf denen man sich einig ist. Merkel formuliert es morgens, als sie vor der ersten Arbeitssitzung einen kurzen Stopp bei den Kameras machte, so: Wichtig sei, "durch Taten zu zeigen, dass wir besser werden können."

Oettinger: "Wir brauchen auch endlich mehr Personal für Frontex"

Um den Neustart mit einem Begriff zu verbinden, wurde die sogenannte Bratislava-Agenda geboren. Der Weg ist das Ziel. Bis zum März, wenn der 60. Jahrestag der Unterzeichnung der römischen Verträge begangen wird, will man Konkretes vorweisen können. An erster Stelle stehen Vorhaben im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit. Die Flüchtlingskrise, auch wenn sie gerade nicht akut ist, ist immer noch in den Köpfen der Menschen und der Politiker. Deswegen solle möglichst schnell der Grenzschutz verbessert werden.

Darauf ging auch EU-Kommissar Günther Oettinger nach dem Gipfel ein. Er forderte die 27 EU-Staaten auf, ihre finanziellen und personellen Zusagen zum Aufbau der gemeinsamen EU-Grenzschutzagentur Frontex unbedingt einzuhalten. "Wir erwarten, dass die EU-Mitgliedstaaten mehr Finanzmittel für die Grenzschutz-Agentur Frontex bereitstellen", sagte Oettinger unserer Redaktion. "Wir brauchen auch endlich mehr Personal für Frontex aus den EU-Staaten zur Sicherung der Außengrenzen." "Es sollte nicht sein, dass die Regierungschefs erst Zusagen machen und sie dann nicht oder nur in Teilen einhalten."

Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei scheinen einsichtiger zu werden

Eigentlich sollte die Flüchtlingspolitik in Bratislava laut Information aus den Delegationen allenfalls nur am Rande eine Rolle spielen. Allerdings deutete sich zwischen den zuletzt festgefahrenen Parteien zumindest eine gewisse Bewegung an. Ungarns Premierminister Viktor Orbán traf sich beispielsweise mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD). Dass die beiden überhaupt miteinander reden, ist schon ein gutes Zeichen. Zuletzt hatten sie sich nur gegenseitig über die Medien beschimpft.

Und Polen, Ungarn, Tschechien und die Slowakei, die vor Jahren die Visegrád-Gruppe gegründet haben, scheinen zumindest einsichtiger zu werden. Sie fordern, dass in der EU künftig "flexibel Solidarität" beim Thema Flüchtlinge geübt werden solle. Damit ist wohl gemeint, dass sie nach wie vor verpflichtende Quoten für die Aufnahme syrischer Flüchtlinge ablehnen, aber dafür umso stärkeres Engagement etwa bei der Grenzsicherung zum Wohl der ganzen Gemeinschaft zeigen wollen. Darauf später angesprochen reagiert Bundeskanzlerin Merkel kompromissbereit: "Ich sehe in der Mitteilung einen positiven Ansatz." Der Geist von Bratislava — er scheint zu wirken.

(RP)
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