"Grexit" Wie gefährlich ist ein Austritt Griechenlands aus dem Euro?

Berlin · Die Bundesregierung hält eine Währungsunion ohne Athen für denkbar. Wirtschaftsexperten warnen davor. Die Ankündigung sei auch ein Versuch, die Griechen unter Druck zu setzen, heißt es. Doch wie genau könnte ein "Grexit" funktionieren?

Die Haltung der Bundesregierung zu einem möglichen Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion hat die Debatte um die Zukunft der Euro-Zone neu entfacht. Mehrere Ökonomen warnten vor einem Austritt Athens und begründeten dies mit den möglichen Konsequenzen. "Wir glauben alle, dass ein Austritt beherrschbar wäre, aber wissen tut es keiner. Und die Fliehkräfte in Europa könnten enorm sein, weil dann auch andere ausscheren könnten", sagte Holger Sandte, Chefökonom der Nordea-Bank, unserer Redaktion.

"Ich würde es vorziehen, wenn Griechenland in der Euro-Zone bleibt und seine Reformanstrengungen verstärkt. Ein Austritt wäre mit erheblichen Risiken behaftet, vor allem für Griechenland selbst, aber auch den Rest der Euro-Zone", sagte Clemens Fuest, Chef des Zentrums für europäische Wirtschaftsforschung. Ähnlich äußerte sich der Wirtschaftsweise Peter Bofinger in der "Bild am Sonntag": "Ein solcher Schritt wäre mit sehr hohen Risiken für die Stabilität des Euro-Raums verbunden.

Damit würde womöglich ein Geist aus der Flasche gelassen, der nur schwer beherrschbar wäre." Dagegen hält Michael Hüther, Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft, einen "Grexit" (Austritt Griechenlands) für machbar: "Da die Euro-Zone insgesamt an Robustheit gewonnen hat, ist ein Austritt verkraftbar und vertretbar." Wenn eine neue Regierung in Athen getroffene Vereinbarungen nicht einhalten wolle, müsse der Austritt erwogen werden: "Dies ist auch geboten, weil sich sonst alle anderen Länder mit ihren Anstrengungen nicht ernst genommen fühlen."

Der "Spiegel" berichtet, dass die Bundesregierung den "Grexit" für verkraftbar halte, weil es seit dem Höhepunkt der Schuldenkrise 2012 Fortschritte in der Euro-Zone gegeben habe. Die Ansteckungsgefahr für andere Länder sei begrenzt; Portugal und Irland seien saniert. Zudem gebe es einen schlagkräftigen Rettungsmechanismus. Regierungskreise bestätigten die Informationen: "Eine Euro-Zone ohne Griechenland hätte nicht denselben Effekt wie noch vor zwei Jahren." Gleichzeitig hieß es, eine Analyse zur Beherrschbarkeit des "Grexit" dürfe "nicht als Meinung fehlinterpretiert werden, wonach Deutschland Griechenland aus der Euro-Zone heraustreiben" wolle. Experten schließen nicht aus, dass die Bundesregierung vor der Parlamentswahl in Griechenland am 25. Januar Druck auf Athen ausüben will. Der laut Umfragen als Wahl-Favorit geltende linke Politiker Alexis Tsipras hatte angekündigt, bei einem Wahlsieg werde Griechenland Schuldenzahlungen einstellen und den Sparkurs beenden.

Kritik kam aus der Opposition. Grünen-Europaexperte Manuel Sarrazin verwies darauf, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) noch vor Weihnachten Änderungen am Griechenland-Paket mit andauernden Gefährdungen der Euro-Zone begründet habe. Es wäre ein "offener Rechtsbruch", wenn Schäuble intern längst eine andere Einschätzung von den Problemen gewonnen hätte: "Wenn keine Gefahr für die Euro-Zone mehr bestünde, dürfte kein Cent an Griechenland überwiesen werden." Grünen-Außenexperte Omid Nouripour warnte vor Einmischung in die griechische Politik: "Statt mit indirekten Drohungen in den Wahlkampf eingreifen zu wollen, muss die Regierung sich eingestehen, dass ihre Politik gescheitert ist." Von "öffentlicher Erpressung" sprach Linken-Chef Bernd Riexinger.

Was würde bei einem "Grexit" passieren?

Wenn die Griechen die Euro-Zone verlassen würden, wäre das ein schwieriger Akt. Athen müsste zur Drachme zurückkehren, die Notenbank neues Geld drucken. Die ökonomischen Folgen wären zumindest kurzfristig verheerend.

Das Wort Grexit ist schnell erklärt. Es setzt sich zusammen aus zwei Begriffen: "Greece" (so heißt Griechenland im englischen) und "exit", dem englischen Wort für Auszug. Gemeint ist der Austritt Griechenlands aus der europäischen Währungsunion. Ob und wie der theoretisch funktioniert, ist die eine Frage. Die andere ist die nach den ökonomischen Konsequenzen eines solchen Ausscheidens aus dem gemeinsamen Währungsgebiet, und die wären für Athen kurzfristig verheerend.

Wie könnte Athen austreten?

Die griechische Regierung müsste öffentlich erklären, dass das Land aus der Euro-Zone ausscheiden will. Dann müssten alle Mitgliedsstaaten der Währungsunion sich einstimmig für den "Grexit" aussprechen.

Der Haken: Ein solches Ausscheiden ist in den Lissabon-Verträgen nicht vorgesehen. Die Euro-Mitgliedschaft gilt danach als "unwiderruflich". Für ein Ausscheiden müsste das Vertragswerk geändert werden. Natürlich könnte Griechenland seinen Austritt aus der Europäischen Union erklären, weil damit die Euro-Mitgliedschaft automatisch erlöschen würde. Aber das würde nicht nur einen Stopp aller Euro-Rettungshilfen bedeuten, sondern auch der Subventionen aus anderen Brüsseler Töpfen. Ein Rauswurf Griechenlands ist andererseits auch nicht möglich. Aber: "Wenn sich alle einig wären, würden sie einen Weg finden", glaubt Nordea-Chefvolkswirt Holger Sandte.

Was müsste Griechenland tun?

Athen bräuchte eine eigene Währung und würde wohl zur Drachme zurückkehren - formal kein Problem, aber für die Notenbank ein logistisches Problem, da sie neue Drachme-Scheine drucken müsste. Das kostet Zeit. Also müssten die Euro-Länder den Griechen zumindest vorübergehend noch den Euro als Zahlungsmittel lassen, damit das Leben reibungslos weitergehen kann.

Wäre eine Rückkehr möglich?

Natürlich. Griechenland müsste sich irgendwann wieder um die Aufnahme in die Währungsunion bewerben und würde wie die anderen Neulinge der vergangenen Jahre das Prüfverfahren durchlaufen. Dann würden die Mitgliedsländer über die Rückkehr abstimmen. Aber: Dass Griechenland sozusagen im Alleingang die Bedingungen besser erfüllen könnte als im Euro-Verbund, erscheint als extrem unwahrscheinlich.

Was wären die Folgen des "Grexit"?

Befürworter argumentieren gern damit, dass die neue Drachme extrem abwerten und dies die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Exportunternehmen stark verbessern könnte. Dies ist aber nur die eine Seite. Die Abwertung hilft nämlich nur, wenn Griechenlands Gläubiger gleichzeitig auf einen großen Teil ihrer Forderungen verzichten würden. Denn durch die Abwertung der Drachme steigen die in Euro aufgenommenen Kredite Griechenlands gewaltig. Um die zurückzuzahlen, würden die bisher erzielten wirtschaftlichen Fortschritte nach fünf Jahren Rezession nicht ausreichen. Wer nur mit besseren Exportaussichten argumentiert, behandelt nur einen Teil des Problems.

Was passiert mit dem Aufschwung?

Der wäre vermutlich dahin - trotz Exportvorteile und trotz der Tatsache, dass Urlaub in Griechenland finanziell wieder attraktiver würde, weil man für Ferien im Drachme-Land weniger Euro bräuchte als vorher. Das Problem: Wenn das Ganze fes nicht ohne Schuldenerlass ginge wären auch Griechenlands Banken wieder getroffen. Zwar liegt ein Großteil der Forderungen nicht mehr bei Geldhäusern, aber außen vor sind die nicht. Würden Sie auf Geld verzichten, müssten sie dies abschreiben. Ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe wäre eingeschränkt. Darauf wäre die Industrie aber dringend angewiesen, weil sie für Energie, andere Rohstoffe und Vorprodukte, die sie aus dem Ausland bezieht, weit mehr bezahlen müsste als zu Euro-Zeiten. Auch für den Verbraucher direkt würden sich Importgüter verteuern. Die Firmen müssten Stellen abbauen. Griechenland würde eine neue Armut erleben.

Was heißt das für die Euro-Zone?

Unabhängig davon, ob Europa den "Grexit" für machbar hält - die Ansteckungsgefahren wären nur schwer absehbar. Womöglich würden Investoren die Staatsanleihen von Krisenländern nicht mehr kaufen. Deren Refinanzierung wäre in Gefahr. Es wären neue Hilfen fällig -oder weitere Austritte. Die Euro-Zone würde immer brüchiger.

(RP)
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