Analyse Europa muss zusammenstehen

Am 7. Februar 1992 unterzeichneten die europäischen Staaten den Vertrag von Maastricht, der den Euro schuf. Heute benötigen wir dringend eine Reform jener Strukturen, die damals entworfen wurden. Die Zeit drängt.

 Die Französin Sylvie Goulard ist EU-Abgeordnete.

Die Französin Sylvie Goulard ist EU-Abgeordnete.

Foto: Europ�isches Union

Am 7. Februar 1992 wurde der Vertrag von Maastricht unterzeichnet. Der Jahrestag fällt in den Beginn der Amtszeit des neuen US-Präsidenten Donald Trump - das hilft uns, den Wert der europäischen Einigung besser einzuschätzen. Trumps "America first" ist ein feindseliges, egoistisches Prinzip. Wenn man dieser Logik folgt, dann muss man anderen Ländern die Arbeitsplätze wegnehmen, um Jobs im eigenen Land zu schaffen. Um sich zu schützen, muss man sich abschotten. Das ist eine Vision, die der Logik des Marshall-Plans und der europäischen Einigung komplett widerspricht.

Analyse: Europa muss zusammenstehen
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Nach 1945 haben außergewöhnliche Persönlichkeiten auf beiden Seiten des Atlantiks begriffen, dass es sich eben nicht um ein Nullsummenspiel handelt: Der Wohlstand basiert auf Gegenseitigkeit. Zusammenarbeit, Handel und Freizügigkeit sind besser geeignet, eine dauerhaft friedliche Welt zu schaffen als die Erniedrigung ehemaliger Feinde und Rivalität. Der Slogan damals lautete nicht: "Ich zuerst!", sondern: "Wir gemeinsam!" Das Ergebnis lässt sich sehen: Niemals zuvor in der Geschichte haben unsere Völker eine 70-jährige Phase des Friedens erlebt. Die Europäische Gemeinschaft hat das verwirklicht, was der Westfälische Frieden und das angebliche Gleichgewicht der Kräfte nicht schaffen konnten: Aussöhnung und eine enge Zusammenarbeit im Sinne unserer übergeordneten Interessen.

Als die europäischen Staaten 1992 in Maastricht eine gemeinsame Währung schufen, wollten sie damit das Zusammenwachsen Europas besiegeln, das 1950 mit der Kohle- und Stahlunion begonnen hatte und 1957 mit der Schaffung des gemeinsamen Binnenmarktes fortgesetzt worden war. Es gab gute Gründe dafür: Der Euro sollte innerhalb des gemeinsamen Marktes schädliche Abwertungswettläufe verhindern. Als internationale Reservewährung sollte er zudem ausländisches Kapital nach Europa locken. Der wichtigste Grund für die Schaffung des Euro war jedoch politisch. Die Kriegsgeneration, der auch Helmut Kohl und François Mitterrand angehörten, wollte durch die gemeinsame Währung die Union Europas nach der deutschen Wiedervereinigung unumkehrbar machen.

Heute steht der Euro in der Kritik. Man wirft ihm vor, die Lebenshaltungskosten nach oben getrieben zu haben. Im Süden der EU gilt er als mitschuldig an der sehr hohen Jugendarbeitslosigkeit. In Deutschland und anderen Ländern Nordeuropas stößt dagegen die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) zulasten der Sparer auf Ablehnung. Diese Kritik am Euro darf man nicht einfach vom Tisch wischen. Es stimmt ja, dass Fehler begangen worden sind. Die gemeinsame Währung muss reformiert werden.

Zunächst muss man jedoch anerkennen, dass sich die Lage entspannt hat. Länder wie Irland und Portugal konnten inzwischen die drakonischen Sparprogramme wieder verlassen, die man ihnen auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise auferlegt hatte. Andere wie Spanien sind auf einem guten Weg. Und auch wenn sie noch nicht vollendet ist, so stellt die Bankenunion doch einen großen Schritt nach vorne dar. Das Wirtschaftswachstum ist ermutigend.

Reformen bleiben aber nötig, und sie müssen vor allem in den Mitgliedstaaten selbst umgesetzt werden, denn die Fehler sind jahrelang vor allem auf nationaler Ebene begangen worden: Die exzessive Staatsverschuldung in Griechenland, die private Schuldenkrise in Spanien, die Bankenkrise in Italien. Auch Frankreich hat seine Hausaufgaben nicht gemacht, bei der Präsidentschaftswahl im April und im Mai geht es deshalb vor allem auch darum, dass die Weichen für eine Sanierung des französischen Staatshaushalts und die notwendigen Reformen gestellt werden. Es ist aber auch wichtig, dass sich die wirtschaftliche Kluft zwischen unseren Ländern nicht weiter vertieft. Daher muss das Lohnniveau in Deutschland bis dahin angezogen haben, und es muss weiter investiert werden, insbesondere in die Digitalwirtschaft, die Forschung und die Infrastruktur.

Die zweite Ebene der Reformen betrifft die EU selbst. Die Euro-Zone benötigt eine wirksamere makroökonomische Politik, die sich auf ein Budget für Forschung und Innovation stützt. Zugleich müssen wir anerkennen, dass die Erträge unserer Volkswirtschaften künftig gerechter verteilt werden müssen. Mit seiner Lage in der Mitte Europas hat Deutschland, insbesondere seit der Ost-Erweiterung der EU, Standortvorteile, die Länder an der europäischen Peripherie nicht haben: Deutsche Unternehmen können ihre Fertigung ins nahe EU-Ausland verlagern, zugleich liegt für die deutschen Exporte ein Markt von Hunderten Millionen Verbrauchern direkt vor der Tür. Was die EZB angeht, so ist sie gezwungen, ihre "nicht-konventionelle" Währungspolitik zu betreiben, weil es eben keine echte europäische Wirtschaftspolitik gibt. Wer jede Entwicklung in diese Richtung blockiert, darf sich nachher nicht über die EZB beschweren. Diese Situation ist auf Dauer jedoch unhaltbar, und gerade Deutschland hätte viel zu verlieren, wenn sich die Politik in diesem Punkt nicht weiterentwickelt.

Die dritte Stufe der Reformen betrifft die Verbesserung der demokratischen Kontrolle. Auch ohne eine Änderung der europäischen Verträge sind hier Fortschritte möglich und angesichts der Unzufriedenheit der Bürger auch nötig. In Deutschland sollte man sehr ernst nehmen, dass der Eindruck einer deutschen Hegemonie im Süden Europas stark verbreitet ist. Wenn etwa in Italien ein Populist an die Macht käme, wäre dies für die Stabilität Deutschlands ebenso bedrohlich wie für Italien selbst. Es ist nicht zu leugnen, dass es 25 Jahre nach Maastricht noch jede Menge offene Baustellen gibt. Aber es wäre extrem riskant, die europäische Einigung gerade jetzt zur Disposition zu stellen, da Brexit und Trump den Westen, wie wir ihn bisher kennen, in seinen Grundfesten erschüttern. In dieser Phase der Unsicherheit ist es dringender denn je, dass Europa zusammensteht.

Übersetzung: Matthias Beermann

(RP)
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