Wahlen zum EU-Parlament 2014 Große Koalition auch in Europa

Berlin/Brüssel · Union und SPD stellen sich auf ein wochenlanges Geschacher um den Posten des neuen EU-Kommissionspräsidenten ein – und auf mögliche Personal-Optionen, falls es in Brüssel ebenfalls auf ein Bündnis der großen Lager hinausläuft.

Union und SPD stellen sich auf ein wochenlanges Geschacher um den Posten des neuen EU-Kommissionspräsidenten ein — und auf mögliche Personal-Optionen, falls es in Brüssel ebenfalls auf ein Bündnis der großen Lager hinausläuft.

Nach dem Renten- packen Union und SPD das Europa-Paket. Die große Koalition hat sich in Berlin so prächtig aneinander gewöhnt, dass sie sich am Tag nach den Wahlen zum Europaparlament eine ähnliche Postenverteilung auch in Brüssel bestens vorstellen kann — nur laut darüber reden wollen weder die CDU-Vorsitzende Angela Merkel noch SPD-Chef Sigmar Gabriel. Das wäre eine "Hybris", also vermessen, meint Gabriel bezogen auf die Vorstellung, dass die Parteichefs in Deutschland aushandeln, wie die Mehrheiten im neuen Europaparlament agieren sollen.

Deshalb nährten Schwarze wie Rote in Berlin am Montag die Vorstellung, dass es sowohl der Spitzenkandidat der Bürgerlichen, Jean-Claude Juncker, als auch der der Sozialisten, Martin Schulz, aus eigener Kraft zu einer Mehrheit im neuen Parlament schaffen könnte. "Die Christdemokraten haben als stärkste Kraft den Anspruch darauf, den Kommissionspräsidenten zu stellen", sagte CDU-Vize Julia Klöckner unserer Redaktion. Der künftige Präsident der EU-Kommission müsse aus der Mitte des bürgerlichen Lagers kommen, das sei "die klare Botschaft" der Wahl. "Wenn Martin Schulz glaubwürdig bleiben will — er hat vor der Wahl betont, dass die stärkste Kraft den Präsidenten vorschlagen sollte —, muss er natürlich Jean-Claude Juncker den Vortritt lassen", betonte Klöckner.

Zwar liegt das konservative Lager mit 213 Mandaten eindeutig vor den 190 Sitzen des sozialistischen. Zur Mehrheit sind aber mindestens 376 Abgeordnete nötig. Da müssen also auf beiden Seiten noch Grüne, Liberale und weitere Einzelabgeordnete hinzukommen, damit eine Seite allein obsiegt.

Die Grünen können sich tatsächlich vorstellen, auch den Konservativen Juncker zu wählen. "Wir Grüne gehören nicht in das eine oder andere Lager — für uns sind grundsätzlich beide Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten wählbar", sagte Spitzenkandidat Sven Giegold unserer Redaktion. Zwar stünden die Grünen inhaltlich näher beim sozialdemokratischen Kandidaten. Aber: "Schulz hat im Wahlkampf in Deutschland die deutsche Karte gespielt — damit hat er sich nicht unbedingt für das Amt des Kommissionspräsidenten empfohlen, der ja für alle Europäer steht."

Die Kräfteverhältnisse klären sich letztlich erst bis Ende Juni — wenn sowohl Juncker als auch Schulz mit ihrer Werbetour unter den Europa-Abgeordneten durch sind. Deshalb spielt in Berlin die Kanzlerin auf Zeit. Sie verweist zudem darauf, dass der neue Kommissionspräsident nicht nur im Parlament, sondern auch im Rat der Staats- und Regierungschefs eine Mehrheit braucht. Wer zu früh vorprescht, könnte am Ende den Kürzeren ziehen, weil sich viele Parlamentarier ungern dem Druck der Regierungen fügen.

So basteln die Koalitionäre in Berlin vorsichtshalber schon einmal an Paketlösungen, bei denen die Konservativen zwar den Kommissionspräsidenten stellen, Schulz aber auch nicht schlecht wegkommt. Es gebe den Wunsch der SPD, auch über das Amt des Hohen Repräsentanten zu sprechen, berichtete Merkel im Präsidium ihrer Partei. Wenn Schulz auf diese Weise "Außenminister" der EU würde, wäre er zugleich Vizepräsident.

Das wäre ein sehr honoriger Trostpreis für den wackeren Sozialdemokraten, der in seiner Heimat auch "Kissinger von Würselen" genannt wird. Möglich wäre auch ein Verbleib von Schulz im Amt des Parlamentspräsidenten. SPD-Parteichef Sigmar Gabriel reist heute zum Treffen der sozialistischen EU-Regierungschefs nach Brüssel, um für Schulz zu trommeln. Dass nationale Parteichefs daran teilnehmen, ist eher unüblich.

Halbherzige Unterstützung für Juncker

Am Abend kommen dann alle 28 Staats- und Regierungschefs der EU zu inoffiziellen Sondierungen zusammen. Der vom Erfolg der EU-Hasser demontierte britische Premier David Cameron hat schon angekündigt, Juncker nicht zu unterstützen. Auch der Ungar Viktor Orbán will sich gegen Juncker stellen. Der Rat muss mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten benennen. Als mögliche Ausweichkandidaten werden der irische Premier Enda Kenny und die Präsidentin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, genannt.

Am Ende kommt es wohl entscheidend auf Merkel an. Kritiker sagen ihr eine eher halbherzige Unterstützung für Juncker nach. Erst Ende Juni ist klar, wie groß nun tatsächlich die Fraktionen sind. Denn neue Parteien müssen sich erst entscheiden, wo sie andocken. Das kann die Kräfteverhältnisse in der Volksvertretung verschieben.

Darauf hofft Martin Schulz. Doch Junckers Umfeld trat am Montag Spekulationen entgegen, die Konservativen könnten noch entscheidend geschwächt werden. Das Gegenteil sei der Fall — frei nach dem Motto: "The winner takes it all."

(RP)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort