Flüchtlinge auf der Balkanroute Problem verschoben, nicht behoben

Meinung | Berlin · Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist mit ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik krachend an den Realitäten in der Europäischen Union gescheitert. Anders kann es nicht gewertet werden, wenn nun die westliche Balkanroute für Flüchtlinge kurzerhand und vollständig gekappt wurde.

Slowenien, Kroatien, Serbien und Mazedonien lassen seit Mittwoch niemanden ohne gültigen Reisepass und Visa mehr passieren. Mehr als 35.000 Menschen sitzen in Griechenland fest, in der Stadt Idomeni im Norden des Landes nimmt das Elend zu. Die Grenze zu Mazedonien ist geschlossen, bis zu 14.000 Menschen - darunter mehrere Tausend Kinder - harren allein in diesem Lager bei Regen und Kälte aus. Ihr Schicksal ist ungewiss.

Nationale Alleingänge

Angesichts dieser Zustände ist es schlicht zynisch, nationale Alleingänge mit Zäunen, Stacheldraht und Mauern zu begrüßen. Sie sind nur Ausdruck dessen, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union offenkundig unfähig sind, sich zusammenzuraufen. Selbst wenn sie vielleicht in der Lage sind, sich auf ein gemeinsames Wertesystem inklusive humanitärer Grundsätze festzulegen: Sich geschlossen daran zu halten, können sie nicht. Und so ist nun klar, dass es Ausweichbewegungen geben wird. Wer den Flüchtlingen auf dem Balkan den Weg versperrt, löst das Problem nicht.

Die Probleme werden verschoben?

Es wird schlicht verschoben — auf einige Wochen in die Zukunft, auf andere Routen nach Westeuropa. Es wäre realitätsfern zu glauben, dass sich verzweifelte Menschen aus armen Regionen oder Kriegsgebieten nicht mithilfe krimineller Schlepperbanden andere Wege suchen würden, um etwa nach Deutschland zu kommen. Ist die Balkanroute dicht, werden jetzt wieder Auswege gesucht, die vermehrt Italiens Küsten als Ziel haben. Sei es über Westgriechenland mit Schiffen nach Italien, über Albanien dorthin oder wieder über Nordafrika.

Keine Einigungen

Bleibt die Blockade am Westbalkan und gibt es keine schnelle Einigung auf große Flüchtlingskontingente aus der Türkei, rücken zerrüttete Staaten wie Libyen wieder in den Fokus der Schlepper. Die Folgen sind bereits hinlänglich bekannt. Dann starten wieder viel mehr schrottreife Boote die lebensgefährliche Überfahrt nach Lampedusa, dann ertrinken wohl wieder viel mehr Menschen im Mittelmeer.

Und das Kappen der Balkanroute ist nicht nur aus humanitären Gründen ein Fiasko. Es dürfte nun auch politisch dazu beitragen, dass die Bande zwischen Merkel und ihren wenigen EU-Verbündeten einerseits und jener sich abschottenden Mehrheit andererseits drohen, endgültig zerschnitten zu sein. In Anbetracht der schwierigen bevorstehenden Verhandlungen mit der Türkei ist das eine weitere, hohe Hürde für die Kanzlerin.

Nicht im Sinne der Balkanstaaten

Denn der unvermeidliche Rückstau von fliehenden Menschen nach Griechenland und in die Türkei sorgt doch erst recht dafür, dass sich die EU in die Hände des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan begeben muss. Wächst der Druck in der Türkei, die Menschen versorgen zu müssen, die Mazedonien und Co. nicht mehr durchlassen, wird die Türkei immer mehr Gewicht zur eigenen Gunst in die Waagschale der Verhandlungen werfen können. Und das kann schon allein aus finanziellen Gründen auch nicht im Sinne der Balkanstaaten sein.

(dreb)
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