Nach Flüchtlingsdramen im Mittelmeer Flüchtlinge sind in Europa ungleich verteilt

Berlin · Politiker fordern ein Quotensystem für die Verteilung von Flüchtlingen auf die Europäische Union. Der EU-Sondergipfel soll am Donnerstag auch über einen Militäreinsatz gegen Schlepperbanden beraten.

Klicken Sie auf die Grafik, um die Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der europäischen Union zu sehen.

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Foto: Ferl

Aus dem bislang größten Flüchtlingsdrama mit mehr als 800 Toten sollte die Europäische Union nach der Überzeugung des Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, Konsequenzen ziehen und das Engagement im Mittelmeer ausweiten. "Ich hoffe, dass die neuen Tragödien zu einem Umdenken führen", sagte der EVP-Chef unserer Zeitung. Von dem morgigen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs in Brüssel müsse das Signal ausgehen, dass Europa zusammensteht und "endlich handelt". Das gelte etwa für die sofortige Ausweitung des "Triton"-Einsatzes zu einer umfassenden Grenz- und Rettungsmission.

Nötig ist nach Meinung des CSU-Politikers ein Quotensystem für die Verteilung von Flüchtlingen in Europa. "Es kann nicht sein, dass fünf EU-Staaten den Großteil der Flüchtlinge aufnehmen und mit den Mittelmeeranrainern die Hauptlast tragen", betonte Weber. Da müsse sich etwas ändern. Die Flüchtlingsströme würden Europa noch viele Jahre fordern. "Alle stehen in der Pflicht, dieser außergewöhnlichen Situation Herr zu werden."

Zu dem von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verlangten verschärften Vorgehen gegen Schlepper passte die Meldung Italiens, mehrere Verdächtige festgenommen zu haben. Die Aktion richtete sich gegen den tunesischen Kapitän des gesunkenen Schiffes und einen syrischen Seemann. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Kapitän mehrfache fahrlässige Tötung, Herbeiführen eines Schiffbruchs und Begünstigung illegaler Einwanderung vor. Der Seemann muss sich lediglich wegen Begünstigung verantworten.

Harald Höppner will mit dem Boot Sea-Watch Flüchtlinge retten
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Die mutmaßlichen Schleuser sollen von Flüchtlingen unter den 28 Überlebenden des jüngsten Unglücks erkannt worden sein. In Sizilien nahm die Polizei zudem drei mutmaßliche Schleuser aus Syrien fest, die fast 100 Migranten auf einer Jacht nach Italien gebracht hatten. Die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflüchteten Menschen hätten bis zu 8500 Euro für eine Fahrt von der Türkei aus bezahlt. Wegen eines Motorschadens sei die Jacht nicht mehr steuerbar gewesen.

Italienische Schiffe suchen nach Überlebenden im Mittelmeer
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Foto: dpa, dc lb

Der Sondergipfel in Brüssel dreht sich auch um einen möglichen EU-Militäreinsatz, der sich nach dem Vorbild der Anti-Piraten-Mission am Horn von Afrika auf die Zerstörung von Schiffen beziehen soll. Laut EU-Kommission haben die Schleuserbanden schon jetzt nicht genügend Schiffe, um die täglich zu Tausenden eintreffenden Flüchtlinge von der Küste Libyens nach Europa zu bringen. "Häufig werden unsere Seenotretter, nachdem sie die Flüchtlinge auf dem offenen Meer gerettet haben, von den Schleppern mit Waffengewalt dazu gezwungen, ihnen die leeren Boote wieder zu übergeben", sagte Kommissionssprecherin Natasha Bertaud: "Ziel unseres Vorschlags ist, das zu beenden." Die europäischen Schiffe würden somit gleichzeitig Flüchtlinge retten, sich gegen die Schleuser zur Wehr setzen und letztlich auch deren Boote zerstören können. Davon könnten auch leere, an den Stränden auf neue Flüchtlinge wartende Boote betroffen sein.

Als "Schande für Europa" bezeichnete Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt die bisherige EU-Flüchtlingspolitik. Scharf attackierte sie dabei Bundesinnenminister de Maizière, weil er noch vergangene Woche Hilfe bei der Seenotrettung mit der Behauptung abgelehnt habe, dass man damit das Geschäft der Schlepper unterstütze. "Das ist ein unerträglicher Satz", sagte die Grünen-Politikerin unserer Zeitung. "Damit nahm er leichtfertig hin, dass Hunderte Menschen im Mittelmeer sterben", lautet ihre Kritik. Das Geschäft der Schlepper sei nur zu stoppen, indem man eine geregelte Überfahrt durch sichere Fähren und ein humanitäres Visum einführe. "Nicht jeder Flüchtling wird bei uns dauerhaft aufgenommen werden können, aber jeder soll das Recht haben, einen Asylantrag zu stellen", unterstrich Göring-Eckardt.

FDP-Chef Christian Lindner forderte den Einsatz der Marine zur Rettung von schiffbrüchigen Flüchtlingen im Mittelmeer. "Wir müssen die Seenotrettung massiv verstärken, auch mithilfe der Marine", sagte Lindner. Zugleich erhob auch er schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung: Diese "hätte viel früher reagieren müssen", erklärte der FDP-Vorsitzende. Als größtes Land innerhalb der Europäischen Union sei Deutschland seiner Verantwortung nicht gerecht geworden. Lindner forderte die Landesregierung in NRW auf, die Soforthilfen für schwer kranke Flüchtlinge zu erhöhen. Bislang übernimmt das Land für die Kommunen Gesundheitskosten ab 70.000 Euro pro Flüchtling und Jahr. "Diese Schwelle muss auf 10.000 Euro gesenkt werden", so Lindner.

(mar/may-/tor/zie)
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