Flüchtlinge - EU plant Militäreinsatz Müller: Mittelmeer darf nicht zum Meer des Todes werden

Berlin · Während die EU-Außen- und Verteidigungsminister am Montag über die Flüchtlingskrise und Europas geplanten Militäreinsatz gegen Schlepper im Mittelmeer beraten, hält Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) den Einsatz von Waffen gegen Schlepper und Schleuser für zu riskant.

Flüchtlingsdramen im Mittelmeer
Infos

Flüchtlingsdramen im Mittelmeer

Infos
Foto: ap, ALT

"Das Mittelmeer darf nicht zu einem Meer des Todes werden", sagte Müller der "Passauer Neuen Presse". "Schleuserboote aus dem Verkehr ziehen ja, das aber ohne militärische Operationen", forderte der Minister. Ein Militäreinsatz berge "zu viele Risiken" und löse die eigentlichen Probleme nicht. Müller sprach sich stattdessen für polizeiliche und geheimdienstliche Maßnahmen gegen Schlepper aus.

Der Entwicklungsminister forderte zudem, die Fluchtursachen in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu bekämpfen. "Dazu brauchen wir ein europäisches Konzept", mahnte Müller. Dieses müsse "ein Rückkehrerprogramm für die Flüchtlinge in ihren Heimatländern" beinhalten. Der CSU-Politiker sprach sich allerdings auch für die weitere Ausweitung der Seenotrettung im Mittelmeer aus - mit Beteiligung der Bundesmarine. Es dürften "nicht noch mehr Flüchtlinge ertrinken", sagte Müller der "PNP".

Die EU-Außen- und Verteidigungsminister wollen am Montag in Brüssel über die Flüchtlingskrise und Europas geplanten Militäreinsatz gegen Schlepper im Mittelmeer beraten. Ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs hatte im April Vorbereitungen für eine Mission beschlossen, die Boote der Schleuser identifizieren und zerstören soll.

Fragen und Antworten zum Militäreinsatz

Wie könnte der Einsatz ablaufen? Wann starten wo welche Schiffe?

Zunächst einmal will die EU versuchen, sich mit Satelliten, Aufklärungsschiffen, Flugzeugen oder Drohnen ein möglichst genaues Bild von der Lage an der libyschen Küste zu verschaffen. Dabei könnten auch Mobiltelefone und andere Kommunikationsmittel von Schleusern abgehört werden. Im nächsten Schritt will die EU dann die von Menschenschmugglern genutzten Boote beschlagnahmen oder sogar zerstören. Damit würde ihr Geschäftsmodell angegriffen.

Wo will die EU zugreifen?

Militäreinsätze könnte es gegen Schiffe geben, die auf hoher See fahren, aber auch gegen solche, die direkt an der Küste Libyens unterwegs sind, dort ankern oder in Häfen liegen. Über das Bürgerkriegsland werden nach Schätzungen der EU 80 Prozent des illegalen Menschenschmuggels im Mittelmeer organisiert. Im Idealfall werden Schiffe angegriffen, bevor sie Migranten an Bord genommen haben.

Ist für die Militäreinsätze in libyschen Hoheitsgewässern ein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen notwendig?

Nicht unbedingt. Theoretisch würde es ausreichen, wenn der libysche Staat dem Einsatz zustimmt. Das Problem: In dem nordafrikanischen Land gibt es momentan keinen kompetenten Ansprechpartner. Seit Langzeitmachthaber Muammar al-Gaddafi 2011 mit Unterstützung des Westens gestürzt wurde, rivalisieren islamistische Milizen und moderate Kräfte um Macht und Einfluss. Die international anerkannte Regierung ist mittlerweile ins ostlibysche Tobruk geflohen, eine islamistische Gegenregierung sitzt in der Hauptstadt Tripolis.

Gilt das auch für Einsätze außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer?

Wenn ein Schleuser-Schiff auf hoher See nicht unter der Flagge eines Landes fährt, könnte es nach Einschätzung der EU auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates beschlagnahmt werden. Wenn es allerdings eine Länderflagge führt, muss der Flaggenstaat zustimmen - oder es ist eine UN-Resolution notwendig.

Wenn es grünes Licht für den Einsatz geben sollte, wird er für die beteiligten Soldaten oder Migranten gefährlich?

Die erheblichen Risiken der Pläne werden nicht verschwiegen. An der Küste Libyens gibt es laut einem internen EU-Papier schlagkräftige Milizen und schwere Waffen inklusive Artilleriebatterien, die eine ernste Gefahr für Schiffe und Flugzeuge der EU darstellen könnten. Konkret führen Experten auch Gefahren durch Migranten oder Schleuser mit ansteckenden Krankheiten auf. Gesundheitsrisiken könnten sich demnach dann ergeben, wenn nach einem Einsatz auf See aufgegriffene Menschen an Land transportiert werden müssen. Zudem könnten Schleuserbanden Migranten als menschliche Schutzschilde missbrauchen oder als Geiseln nehmen.

Gibt es auch politische Risiken?

Als politisches Risiko gelten mögliche negative Auswirkungen auf die UN-Friedensbemühungen in Libyen. Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte beispielsweise jüngst, er halte die Bedingungen für Operationen im Land derzeit nicht für gegeben.

Wird der Einsatz die Schleuserbanden komplett ausschalten können?

Nein. Experten sind sich sicher, dass für Schleuserkriminalität dasselbe gilt wie für Kriminalität insgesamt. Das heißt: Sie lässt sich eventuell eindämmen, aber nicht aus der Welt schaffen.
Bootsunglücke mit Hunderten Toten könnte es in Zukunft jedoch deutlich seltener geben. Die Zahl größerer Schiffe ist begrenzt. Sie lassen sich nach einer Zerstörung nicht so schnell ersetzen wie kleinere Schlauchboote.

Was passiert mit festgenommenen Schleusern und den Migranten, die bei den Militäreinsätzen auf See eventuell aufgegriffen werden?

Das ist noch nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich ist, dass auf hoher See aufgegriffene Personen erst einmal in den nächsten größeren EU-Hafen gebracht werden - also nach Italien. Für die strafrechtliche Verfolgung der Schleuser müssen noch Pläne erarbeitet werden. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini hat klar gemacht, dass kein Migrant gegen seinen Willen in das Transitland Libyen zurückgebracht werden soll.

Wann könnte es losgehen?

Länder wie Italien wollen mit dem Einsatz so schnell wie möglich beginnen. Diplomaten gehen davon aus, dass bereits beim EU-Gipfel im Juni der offizielle Startschuss gegeben werden könnte. Dann würden erst einmal die Aufklärungskapazitäten in Stellung gebracht.

Könnten die Pläne für den Militäreinsatz noch platzen?

Als Mitglied des Sicherheitsrates könnte beispielsweise Russland einem UN-Mandat zur Zerstörung von Schiffen die Zustimmung verweigern. Der EU bliebe dann nur der Versuch, grünes Licht von den Konfliktparteien in Libyen zu erhalten.

(AFP/dpa)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort