"Ein trauriger Tag für die EU" Triumph der Rechten erschüttert Frankreich

Paris · Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist bei der Europawahl der Front National stärkste Partei geworden. Präsident François Hollande steht jetzt mit dem Rücken zur Wand - seine Politik hat ihn in eine Sackgasse geführt.

"Warnsignal", "großer Knall", "Erdbeben" - die Schlagworte der politischen Beobachter ähnelten sich am Tag nach dem historischen Wahlerfolg des Front National (FN) bei der Europawahl in Frankreich. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes ist eine rechtsextreme Formation stärkste Partei geworden. Jeder vierte Franzose gab der Truppe von Marine Le Pen seine Stimme. Mit 24 Abgeordneten ist Frankreich der EU-Mitgliedstaat, der die meisten Rechtspopulisten nach Straßburg schickt.

Auch wenn sich die Tendenz schon lange abzeichnete, ist das politische Beben gewaltig. "Das ist ein trauriger Tag für die Europäische Union, wenn eine Partei mit einem solchen rassistischen, fremdenfeindlichen und antisemitischen Programm 25 Prozent bekommt", sagte der sozialdemokratische Spitzenkandidat Martin Schulz. Doch auch für Frankreich, immerhin EU-Gründungsmitglied und zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone, ist es ein Schock nie dagewesenen Ausmaßes. Klar desavouiert sind die etablierten Parteien - die oppositionellen Konservativen und vor allem die regierenden Sozialisten.

Front National - die französischen Rechtsextremen
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Foto: AFP

Letztere fuhren mit weniger als 14 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis seit Jahrzehnten ein und landeten gerade einmal auf dem dritten Platz, weit hinter dem FN und der rechtsbürgerlichen UMP, die auf 21 Prozent kam. Für den Präsidenten gleicht das Votum einem Alptraum. François Hollande, dessen Ansehen bereits innenpolitisch im Keller ist, verliert nun auch gegenüber den europäischen Partnern an Einfluss.

Der Wahlausgang wird in erster Linie als Abrechnung mit Hollande und seinem Kurs interpretiert. So hat es der Sozialist bisher nicht geschafft, die Wirtschaft anzukurbeln und die Rekordarbeitslosigkeit zu senken. Zur nationalen Unzufriedenheit kommt eine verbreitete Europa-Skepsis. Einer aktuellen Umfrage zufolge sind 49 Prozent der Franzosen mit der EU unzufrieden. Nicht zuletzt deshalb stoßen die Thesen des eurokritischen FN auf immer größeres Gehör.

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Doch nicht nur für die sozialistische Führung ist das Ergebnis ein Schlag - auch die konservative Opposition hat es nicht vermocht, den Frust der Wähler zu kanalisieren. Dass die UMP, vom FN überrundet, nur auf Platz zwei landet, bringt nun Parteichef Jean-François Copé in Bedrängnis. Während dieser das Wahlergebnis einzig und allein mit der Schwäche der Linken begründete, räumte sein Rivale, der frühere Regierungschef François Fillon, immerhin parteiinterne Probleme ein. Die UMP sei "in ihrer Glaubwürdigkeit getroffen", sagte Fillon und forderte eine Erneuerung seiner Partei. Ein neuer Führungsstreit mit Copé ist damit programmiert.

Dass aus diesem Debakel "Lehren gezogen werden müssen", wie es im Elysée-Palast vage heißt, scheint klar. Nur welche? Hollande steht mit dem Rücken zur Wand. Schon nach den Kommunalwahlen im März hatte der Präsident die Regierung ausgewechselt. Jetzt hat er keinen weiteren Trumpf im Spiel. Schlimmer: Weder die Regierungsumbildung noch die Berufung von Manuel Valls zum neuen Premier hat die Stimmung zu seinen Gunsten ändern können. Gegenwind kommt vor allem aus dem eigenen Lager. Etliche Parteilinke lehnen Hollandes jüngst eingeschlagenen unternehmerfreundlichen Kurswechsel ab. Ihnen gehen selbst die zaghaften Reformen viel zu weit. Sie fürchten, dass der altbewährte Sozialstaat dem "ultra-liberalen Europa" geopfert wird, und fordern eine Rückkehr zu alten linken Rezepten.

Europas Populisten
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Doch lenkt Hollande ein, riskiert er nicht nur seine Glaubwürdigkeit gegenüber Brüssel und den Kapitalmärkten, sondern auch gegenüber seiner eigenen Person: Er müsste sich erneute Sprunghaftigkeit vorwerfen lassen. Ohnehin weiß der Präsident, dass er gegenüber Brüssel und den EU-Partnern keine andere Wahl hat, als den hochdefizitären Staatshaushalt in den Griff zu bekommen. So ließ Paris bereits durchblicken, dass es an seiner Reformpolitik festhalten will.

"Wir müssen weitermachen, das Land wieder aufrichten und aus der Krise führen", erklärte Regierungssprecher Stéphane Le Foll. An den geplanten Einsparungen von 50 Milliarden Euro führe kein Weg vorbei, bekräftigte auch Premierminister Valls. Allerdings solle das Sparpaket möglichst gerecht ausfallen, sagte er, und stellte daher neue Steuersenkungen in Aussicht. Weil der Spielraum indes begrenzt ist, richtet die Regierung ihren Blick auf die EU: So forderte Valls eine Umorientierung in Europa für "mehr Wachstum und Arbeit".

(RP)
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