Ökonomen zur Krise "Wahl zwischen etwas sehr Schlechtem und einem Albtraum"

Athen · Ökonomen aus den USA und Deutschland streiten um die Sinnhaftigkeit des strengen Reformpakets für Griechenland. Doch was sagen eigentlich griechische Wissenschaftler zu dem "Wahnsinn", der da gerade über ihr Land hereinbricht? Sie bleiben erstaunlich gelassen und meinen: "Ob es ein Desaster gibt? – Wir werden sehen".

Die Positionen der Euroländer zu einem dritten Hilfspaket
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Ökonomen aus den USA und Deutschland streiten um die Sinnhaftigkeit des strengen Reformpakets für Griechenland. Doch was sagen eigentlich griechische Wissenschaftler zu dem "Wahnsinn", der da gerade über ihr Land hereinbricht? Sie bleiben erstaunlich gelassen und meinen: "Ob es ein Desaster gibt? — Wir werden sehen".

Die Kritik des bekannten US-Ökonomen Paul Krugman fiel besonders hart aus. In seinem Blog für die "New York Times" machte der Nobelpreisträger deutlich, was er von den Vereinbarungen hält, auf die sich Griechenland und die Euroländer am vergangenen Montag in Brüssel geeinigt haben: Gar nichts. Die von den Griechen geforderten Reformen seien "Wahnsinn" und ein "grotesker Verrat an allem, wofür das europäische Projekt eigentlich stehen sollte". Topökonom Jeffrey Sachs von der renommierten Columbia University pflichtete Krugman bei und twitterte: "Die Eurozone ist ein verrücktes Haus. Ungefestigt, inkompetent und grausam."

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Foto: dpa, sp ase tba

Die Twitter-Reaktionen zeigen: Das Reformpaket für Griechenland ist ein Aufreger-Thema für die US-Topökonomen. Doch wie stehen eigentlich griechische Wirtschaftswissenschaftler zu den Maßnahmen? Ergreifen sie ebenso leidenschaftlich Partei für ihr Land und ihre Regierung, wie Krugman, Sachs und andere es getan haben?

Bislang verhalten sich die meisten griechischen Ökonomen erstaunlich ruhig und unaufgeregt. Es scheint, als würden sie die politischen Entwicklungen lieber abwartend beobachten, als sich mit Kritik oder Vorschlägen zum richtigen Vorgehen einzumischen. Einer der wenigen, die sich kontinuierlich äußern, ist Costas Meghir. Der Grieche ist Professor an der Yale University in den USA. Er sieht das Reformpaket positiv und hofft, dass die Durchsetzung der Maßnahmen der griechischen Regierung den Rücken stärkt. Bei Twitter schreibt er:

In einem Interview mit "Yale News", das vor der Einigung vergangenen Montag geführt wurde, betont Meghir, dass schnell eine Lösung gefunden werden müsse, um Griechenland vor einer Pleite zu bewahren. Die ESM-Hilfen hält der Ökonom für eine gute Strategie und will dafür auch harte Sparmaßnahmen in Kauf nehmen. Trotzdem denkt Meghir, dass es am Ende doch zur Katastrophe kommen könnte. Doch er glaubt, dass sich das Land nach einem möglichen Zusammenbruch wieder erholen wird, das habe die griechische Geschichte gezeigt: "Whether we can avoid disaster, I won't speculate. We shall see. Whether we can recover from an impending disaster, history suggests that we can", sagte Meghir in dem Interview.

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Harris Dellas, Wirtschaftsprofessor an der Universität Bern, ist sicher, dass Griechenland nur überleben kann, wenn es die Forderungen der EU umsetzt. Denn das Land sei auf die finanziellen Hilfen angewiesen, sagte Dellas "Blick.ch". Auch Thanasis Stengos, Professor ander Universität in Guelph, Kanada, sieht die Einigung positiv: "A mediocre agreement is always better that no agreement at all" — "Eine mittelmäßige Einigung ist immer besser als gar keine Einigung", schreibt er auf der Plattform "greekeconomistsforreform.com".

Nach Meinung von Costas Azariadis, der an der Washington University lehrt, hat Griechenland die "Wahl zwischen etwas sehr Schlechtem und etwas, das ein Albtraum sein könnte" ("The choices are between something pretty bad and something that could be a nightmare"). Das sagte er kurz vor der Einigung in Brüssel in einem Interview zu "stltoday". Seine Haltung ähnelt damit der der US-Ökonomen.

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Foto: Phil Ninh

Unterdessen reagieren einige deutsche Wirtschaftswissenschaftler auf die harte Kritik aus den USA und ergreifen Partei für die Bundesregierung. Der Nachrichtenagentur Reuters sagte Marcel Fratzscher, DIW-Präsident: "Die Einigung ist ein gutes Resultat für Europa und für Deutschland. Das geplante dritte Programm ist mehr als großzügig für Griechenland. Die Bundesregierung hat sich mit den meisten ihrer Forderungen durchgesetzt". Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, sieht die Reformen ebenfalls positiv. Gleichzeitig betont er, dass die Krise noch längst nicht gelöst ist: "Die Kuh ist nicht vom Eis, aber das Eis ist dicker geworden. Es wird nicht leicht sein, diese Einigung umzusetzen — insbesondere für die griechische Seite."

Hans-Werner Sinn, Präsident des Ifo-Instituts, äußerte sich gegenüber Reuters eindeutig kritisch zu den neuen Vereinbarungen: "Viele Leute glauben, dass das vorliegende Papier gut für Griechenland ist. Das ist es nicht. Während der Beschluss den Rest Europas viel Geld kosten wird, wird all dieses Geld nicht genügen, um die griechischen Bürger zufriedenzustellen. Es macht keinen Sinn, die Probleme des Landes mit immer mehr Geld zuschütten zu wollen".

Mit Material von Reuters.

(lsa)
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