Griechenland-Krise "Viele Griechen fühlen sich betrogen"

Düsseldorf/Athen · Am Sonntag lobte der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras die Fortschritte seines Landes bei der Bewältigung der Schuldenkrise. Doch eigentlich hat sich kaum etwas verändert, erzählt uns eine Griechin.

 Theodora Arampatzes vor einem Jahr an ihrem Schreibtisch.

Theodora Arampatzes vor einem Jahr an ihrem Schreibtisch.

Foto: Franziska Hein

Vor gut einem Jahr saß Theodora Arampatzes am Schreibtisch in ihrer Praxis und überschlug im Kopf, wie viel Geld sie für sich und ihre drei Kinder bis zum Ende des Monats noch übrig hat. Maximal 60 Euro am Tag konnte Theodora damals abheben, der Medikamente-Import stockte, auf dem Syntagma-Platz fanden jeden Tag Demonstrationen statt. Das war mitten in der griechischen Finanzkrise, als die Banken überall im Lande schlossen, und der Machtkampf in der Regierung tobte, wer nach dem EU-Referendum die Oberhand behält.

Damals hatten die Griechen mit fast 70 Prozent gegen die Reformvorschläge der EU gestimmt und damit Ministerpräsident Alexis Tsipras den Rücken gestärkt. Am vergangenen Sonntag zeichnete der Ministerpräsident vor Journalisten nun ein positives Bild, er sprach von den Fortschritten seines Landes und davon, dass sich die Wirtschaft stabilisiert habe. Ein Grund bei den Betroffenen von damals noch einmal nachzufragen. Die Situation sei zwar klarer, aber sie habe sich nicht verbessert, erzählt Theodora im Gespräch mit unserer Redaktion.

Theodora, mittlerweile ist mehr als ein Jahr vergangen, nachdem in Griechenland die Banken schlossen. Wie geht es Ihnen und Ihrer Familie?

Theodora Arampatzes: Mir geht es fantastisch. Meinen Kindern geht es ebenfalls sehr gut. Meine Tochter Elly hat die Sekundarschule abgeschlossen und studiert jetzt an der Uni. Uns geht es gut.

Wie ist Ihre berufliche Situation?

Theodora Arampatzes: Ich führe immer noch meine Praxis für Biofeedback. Das hat sich nicht verändert. Die Situation ist noch diesselbe wie im vergangenen Jahr. Sie ist nicht schlechter, aber auch nicht besser. Ich mache diesen Job seit acht Jahren, und noch nie war es so anstrengend wie jetzt. Der August war wie auch schon letztes Jahr hart, weil viele Patienten im Urlaub waren. Im September wird es besser. Ich bin stolz und glücklich, dass ich alles bezahlen kann — im Augenblick.

Ist es noch schwieriger geworden für Sie?

Theodora Arampatzes: Die Mehrwertsteuer wurde extrem erhöht. Ich muss nun fast 24 Prozent Steuern bezahlen. Gleichzeitig nehme ich aber nicht mehr ein. Deswegen habe ich natürlich weniger Geld zur Verfügung, was es schwierig macht. Meine Mutter muss derzeit von nur 500 Euro Pension leben, weil die Pensionen weiter gekürzt wurden. Zum Glück hat sie ein Haus, in dem sie wohnen kann. Doch auch die Steuern auf Grundbesitz wurden erhöht. Man kann sich immer weniger leisten. Wenn wir uns jetzt abends zum Dinner mit Freunden verabreden, muss jeder etwas mitbringen, weil niemand es sich leisten kann, alle einzuladen.

Wie nehmen Sie die politische Stimmung wahr?

Theodora Arampatzes: Auch ein Jahr nach dem Höhepunkt der Krise sind die Parteien ziemlich zerstritten. Es finden immer noch viele Demonstrationen statt. Viele Griechen fühlen sich betrogen und machen die Regierung dafür verantwortlich, dass es ihnen schlechter geht. An zweiter Stelle kommt dann die EU, die für alles verantwortlich gemacht wird.

Vergangenes Jahr waren die Deutschen und die EU noch die Feindbilder Griechenlands. Wie sprechen die Griechen über Deutschland und die EU?

Theodora Arampatzes: Seit Angela Merkel im vergangenen Jahr die Grenzen für die Flüchtlinge geöffnet hat, sprechen die Griechen etwas positiver über Deutschland. Deutschland hat viele, viele Flüchtlinge aufgenommen und hat sich dafür eingesetzt, dass wir Hilfe bekommen.

Haben Sie das Gefühl, dass die Zukunft besser wird?

Theodora Arampatzes: Ja, in 25 Jahren vielleicht. Jetzt ist es viel zu früh, Verbesserungen zu erwarten. Die Perspektive ist jetzt klarer, man weiß, was man zu erwarten hat, was man zu bezahlen hat.

(heif)
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