Verhandlungen im Endspurt Ökonomen warnen vor faulem Griechenland-Kompromiss

Berlin · In der Berliner Koalition wächst die Kritik an den stetig steigenden Liquiditätshilfen der EZB für griechische Banken. Führende Ökonomen äußern sich skeptisch über die sich abzeichnende Vereinbarung über neue Hilfskredite.

Griechenland: Ökonomen warnen vor faulem Kompromiss
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"Der neue Plan der griechischen Regierung ist ein wichtiges Signal, das sie gewillt ist einen Staatsbankrott zu vermeiden", sagte Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Aber wir dürfen nicht vergessen, dass der Plan lediglich neue Versprechen enthält — nicht mehr und nicht weniger — die erst noch umgesetzt werden müssen."

Auch Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Kramer warnte: "Das dürfte ein fauler Kompromiss werden, der vom ursprünglichen Grundgedanken der Rettungspolitik abweicht — nämlich Auszahlung von Krediten nur gegen nachgewiesene, umgesetzte Reformen."

Die griechische Regierung hatte am Montag neue Reformvorschläge unterbreitet, die Basis einer Vereinbarung werden soll. Anders als bisher erklärte sich Athen bereit, Frühverrentungen zu beschränken, Militärausgaben zu kürzen und die Mehrwertsteuer für Hotels zu erhöhen. Gutverdiener sollen höhere Steuern zahlen. Die Vorschläge sind ökonomisch kontraproduktiv, weil sie das Wachstum dämpfen. Deshalb gibt es nun offenbar auch Streit zwischen der EU-Kommission und dem Internationalen Währungsfonds (IWF).

Aus Sicht des IWF sind Reformvorschläge zu sehr auf Steuererhöhungen ausgerichtet, die das Wachstum noch mehr dämpfen würden, und zu wenig auf Ausgabenkürzungen im Haushalt. Gleichwohl soll die Eurogruppe der Finanzminister am Mittwochabend ab 19 Uhr auf dieser Basis eine Lösung vorbereiten, die auf dem EU-Gipfel morgen und übermorgen beschlossen werden soll. Absehbar ist die Verlängerung des zweiten Hilfspakets bis Jahresende.

Die Eurogruppe berät über die Bedingungen für neue Hilfszahlungen. Die Sitzung dürfte bis zum Donnerstagmorgen andauern. Grundlage sind weiterhin die jüngsten Reformvorschläge aus Athen, die erst am Montag in buchstäblich letzter Minute beim EU-Sondergipfel auf den Tisch kamen. Die griechische Zeitung "Kathimerini" hat das Reform-Papier, das Ministerpräsident Alexis Tsipras erst am 22. Juni EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker übermittelt hatte, ins Netz gestellt (hier finden Sie das Dokument als PDF).

Athen ist demnach jetzt doch bereit, im Rentensystem zu kürzen. Frühverrentungen sollen zurückgeschnitten, Krankenversicherungsbeiträge für Rentner erhöht werden. Zudem soll eine Sondersteuer für Bürger mit Jahresbruttoeinkommen über 30 000 Euro eingeführt werden. Auch Unternehmen mit Jahresgewinnen ab einer halben Million Euro sollen höhere Steuern bezahlen. Die umstrittene Immobiliensteuer soll bleiben. Auch will Athen Militärausgaben um jährlich 200 Millionen Euro kürzen. Insgesamt sollen so acht Milliarden Euro pro Jahr zusammen kommen.

Im Gegenzug will Athen durchsetzen, 27 Milliarden Euro an Verbindlichkeiten gegenüber der EZB auf den Euro-Rettungsschirm ESM umzuschichten. Damit will es den Zinsdienst drücken, denn die ESM-Kredite sind günstiger. Die Eurogruppe will sich darauf aber nicht einlassen.

Einigen sich die Finanzminister, sollen die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel morgen und am Freitag die Vereinbarung beschließen. Athen müsste sie nach Auffassung des Bundesfinanzministeriums zunächst aber durch das eigene Parlament bringen, bevor der Bundestag entscheidet. Die Abstimmung in Berlin könnte am Montag oder Dienstag folgen.

DIW-Präsident Marcel Fratzscher warnte vor der Illusion, die Griechenland-Krise sei mit dieser Einigung vorüber. "Wir werden uns damit abfinden müssen, dass die Hängepartie der vergangenen Monate sich noch lange Zeit fortsetzen wird", sagte der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). "Es ist eine Illusion, die Griechenland-Krise würde nun schnell gelöst werden können." Vor allem die Frage des von Griechenland verlangten Schuldenschnitts werde weiterhin ungelöst bleiben.

Ungeachtet der Einigung, die sich nun im griechischen Schuldenpoker abzeichnet, wächst in der Berliner Regierungskoalition der Unmut über die stetig steigenden Liquiditätshilfen der Europäischen Zentralbank (EZB) für griechische Banken. Dadurch halte die EZB "den griechischen Staat künstlich über Wasser", kritisierte Unionsfraktionsvize Ralph Brinkhaus. Die EZB laufe damit Gefahr, "außerhalb ihres Mandats zu agieren". Sie müsse auf Preisstabilität achten, ihr Mandat sei es nicht, Euro-Staaten vor der Pleite zu bewahren. Athen müsse statt dessen "endlich Kapitalverkehrskontrollen einführen", um die Geldabflüsse zu stoppen.

Ähnlich hatte sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nach Angaben von Teilnehmern beim Treffen der Eurogruppe am Montagnachmittag geäußert. Schäuble habe demnach gefragt, wie lange die EZB die Liquiditätshilfen noch aufrecht erhalten wolle. Diskutiert habe die Eurogruppe zudem, ob die Notkredite mit Kapitalverkehrskontrollen verknüpft werden müssten. Die EZB hat bisher so genannte Emergency Liquidity Assistence (Ela) im Umfang von 87,8 Milliarden Euro gewährt, mit denen sie die griechischen Banken liquide hält. Insidern zufolge wurde der Rahmen gestern erneut erhöht.

Er soll so lange ausgeweitet werden, bis die Euro-Staaten Athen neue Hilfskredite zugesagt haben. Ohne die Geldzufuhr wären die Banken bereits zusammen gebrochen, da Bürger und Unternehmen aus Angst vor einem Euro-Austritt massiv Geld von ihren Konten abgezogen haben. Die Notenbank erkauft der Politik damit seit Monaten Zeit: Ohne ihre Schützenhilfe wäre das Chaos in Griechenland bereits bittere Realität.

In der Koalition sehen Finanzpolitiker die EZB-Hilfe dennoch kritisch — aus mehreren Gründen: Sie verringere den Einigungs- und Reformdruck von Griechenland, erhöhe langfristig die Inflation und kurzfristig den Haftungsrahmen für europäische Steuerzahler. Denn für mögliche Verluste der EZB müssen im Ernstfall die Steuerzahler gerade stehen, Deutschland etwa "besitzt" die EZB zu 27 Prozent. Auch SPD-Fraktionsvize Carsten Schneider hatte erklärt, die EZB handele "ohne demokratische Legitimation und Kontrolle, während die Steuerzahler in Europa haften".

(mar)
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