Nach dem Referendum in Griechenland Wie man eine Staatspleite organisiert

Frankfurt · Bis zum 20. Juli kann EZB-Präsident Mario Draghi die griechischen Banken noch am Leben halten.

So geht es nach dem Referendum weiter
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Foto: dpa, nie axs

Eigentlich war es nur eine lang geplante Renovierungsmaßnahme: Arbeiter demontierten am Montag die 50 Tonnen schwere blau-gelbe Euro-Skulptur, die vor dem früheren Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt steht und in jedem Fernsehbericht über die EZB vorkommt. Doch am Tag eins nach dem griechischen Nein war das fast schon ein Symbol: Die Euro-Zone vor der Demontage.

Auch der Schlüssel, um das zu verhindern, liegt in Frankfurt, bei EZB-Präsident Mario Draghi. Der Italiener ist der Mann, der es in der Hand hat, wie es in Griechenland weitergeht. Mit seinem Spruch, er wolle den Euro retten, "whatever it takes" ("koste es, was es wolle") hatte er die Euro-Zone 2012 vor dem Kollaps bewahrt. Nun entscheiden seine Notkredite (Emergency Liquidity Assistance, Ela) darüber, wie es in Griechenland weitergeht.

Wann sind die griechischen Banken pleite? Die griechischen Banken hängen seit L angem am Tropf der EZB. Sie sind von normalen Refinanzierungsmöglichkeiten abgeschnitten und finanzieren sich nur noch über Ela-Kredite. Der Topf, der bei 89 Milliarden Euro gedeckelt ist, ist fast leer - er enthält nur noch rund 500 Millionen, wie es in EZB-Kreisen heißt. Die EZB kann ihn erhöhen - aber nur, wenn die griechische Nationalbank das Geld nicht gleich an den Staat weiterreicht. Solche "monetäre Staatsfinanzierung" ist der EZB verboten, weshalb die Bundesbank weitere Ela-Kredite ablehnt. Besonders kritisch wird es am 20. Juli. Dann laufen griechische Staatsanleihen aus, die die EZB einst auf dem Markt im Rahmen des so genannten SMP-Programms aufgekauft hat. Wenn Athen die 3,5 Milliarden Euro nicht zahlt, wird die EZB nicht länger den Ela-Hahn offen halten können.

Doch da Draghi auf keinen Fall der Totengräber der Euro-Zone in ihrer bisherigen Form sein will, wird er auf eine politische Lösung drängen: Entweder soll die Politik entscheiden, dass es kein neues Geld mehr gibt, oder sie soll über ihren Rettungsfonds ESM die Schulden, die Athen bei der EZB hat, übernehmen.

Kann die griechische Notenbank nicht einfach Geld drucken? Die physische Verfügbarkeit von Bargeld ist gar nicht das Problem, heißt es in EZB-Kreisen weiter. So soll die griechische Notenbank noch Milliarden Bares im Tresor haben, weil sie sich frühzeitig für Phasen wie diese gerüstet hat. Rein technisch kann sie zudem beliebig viel Geld schaffen. Griechenland gehört zu den drei Ländern der Euro-Zone, die für sich und alle übrigen Mitgliedsstaaten die Zehn-Euro-Scheine drucken. So wie Deutschland die Zwanziger und Fünfziger druckt. Doch nicht das Drucken ist das Problem, sondern es legal zu tun. Und wie viel Euros eine nationale Notenbank drucken darf, entscheidet der EZB-Rat um Draghi.

Wie könnte die Staatspleite ablaufen? Bislang ist Griechenland offiziell nicht pleite. Der Internationale Währungsfonds (IWF) nennt das Land nur einen "säumigen Zahler". Selbst wenn Athen den 20. Juli übersteht, wird es am 1. August ernst. Dann muss der Staat Pensionen, Renten und Löhne an seine Staatsdiener auszahlen. Er könnte dann Schuldscheine ausstellen, so wie es andere auch schon taten. Als etwa Kalifornien vor sechs Jahren pleite war, gab der damalige Gouverneur Arnold Schwarzenegger Schuldscheine aus. "IOU" heißen sie, was die Abkürzung für "I owe you" ("Ich schulde dir") ist. Wenige Monate später gab es eine politische Lösung in Kalifornien - und die Bürger konnten die IOU beim Staat zurück in Dollar tauschen.

Das ist Mario Draghi
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Da die Bürger in Griechenland das kaum erwarten können, dürften dort ausgegebene Schuldscheine rasch an Wert gegenüber dem Euro verlieren. Beispiel: Ein Rentner bekommt einen Schuldschein, der seiner Rente entsprechend nominal 500 Euro wert ist, doch wegen des allgemeinen Misstrauens gegenüber Schuldscheinen kann er sich dafür nur Waren für 300 Euro kaufen - wenn die Geschäfte überhaupt Schuldscheine akzeptieren. In Hellas würde es sofort zwei Parallelwährungen geben: Wer reich an Euro ist, bezahlt weiter damit. Wer von monatlichen Zahlungen des Staates lebt, muss mit abgewerteten Schuldscheinen leben.

Auf den ersten Blick wäre eine Staatspleite für die Griechen sogar günstig: Einmal für zahlungsunfähig erklärt, würden sie einfach ihre Schulden nicht mehr bezahlen. Allein für Deutschland wären über die diversen Rettungstöpfe 85 Milliarden Euro weg. Doch damit wäre Griechenland für lange Zeit vom Kapitalmarkt abgeschnitten. Bei Argentinien waren es über elf Jahre.

Hilft ein Schuldenschnitt? Nein, das akute Problem ist die fehlende Liquidität, die Schulden sind ohnehin bis weit in die Zukunft gestundet. Das Bundesfinanzministerium hat gestern noch einmal deutlich gemacht, dass ein Schuldenschnitt kein Thema sei. Das hat neben pädagogischen Gründen auch den Hintergrund, dass Athen vor allem bei der EZB verschuldet ist - insgesamt mit rund 150 Milliarden Euro. Und die EZB will auf keinen Fall auf das Geld verzichten, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Zudem müssten die Anteilseigner (Deutschland ist mit 26 Prozent von der Partie) EZB-Kapital nachschießen. Andererseits ist vielen auch klar, dass Griechenland bei einer Schuldenquote von 180 Prozent seiner Wirtschaftsleistung seine Schulden kaum vollständig wird zurückzahlen können. Hier könnte, wenn es politisch gewollt ist, der Rettungsfonds ESM ins Spiel kommen, der die Schulden der Griechen bei der EZB übernimmt.

Wie kann die Pleite verhindert werden? Seit dem Nein zu Reformen ist die Staatspleite wahrscheinlicher denn je. Entsprechend äußerten sich gestern die Rating-Agenturen, die das Risiko nun bei über 50 Prozent sehen. Schließlich kann Ministerpräsident Alexis Tsipras jetzt kaum Renten- und Mehrwertsteuer-Reformen zustimmen, die sein Volk gerade mit großer Mehrheit abgelehnt hat. Auf den Reformen bestehen die Geldgeber aber aus guten Gründen weiter. Wenn überhaupt, so führt ein Ausweg für die Griechen über den Rettungsfonds ESM. Aus ihm könnte ein drittes Hilfspakt geschnitzt werden. Allerdings sind die Hürden hoch: Die Geldgeber müssten feststellen, dass eine solche Maßnahme notwendig sei zum Erhalt der Euro-Zone. Und allein der Deutsche Bundestag müsste zwei Mal zustimmen - zum Start der Verhandlungen und später dem ausgehandelten Deal. Angesichts des wachsenden Unmuts in der Union-Fraktion ist das ein großes politisches Risiko für die Kanzlerin. Zugleich steigt der Druck der Geschichtsbücher und der USA auf sie. Dort versteht man überhaupt nicht, wie Europa sich mit einem kleinen Problem so lahmlegt. Das US-Präsidialamt forderte gestern Griechenland und seine Gläubiger einmal mehr auf, einen Kompromiss zu suchen, um Hellas im Euro zu halten.

(RP)
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