Deutsch-Katalane aus Köln "Wir wollen eine gerechtere Gesellschaft schaffen"

Köln · Katalonien könnte sich in den nächsten Tagen von Spanien lossagen. Dafür setzt sich auch Jörg Espelta aus Köln ein. Im Interview erklärt der 48-jährige Rheinländer, was sich für seine Familie dadurch verändern würde.

 Am Dienstag demonstrierten Hunderttausende in Katalonien für die Unabhängigkeit der Region (Archiv).

Am Dienstag demonstrierten Hunderttausende in Katalonien für die Unabhängigkeit der Region (Archiv).

Foto: dpa, PW abl

Von den rund 22.000 Katalanen in Deutschland leben viele in NRW. Unter ihnen wirbt der 48-jährige Jörg Espelta für die Unabhängigkeit der spanischen Region. Er vertritt in Nordrhein-Westfalen die Katalanische Nationalversammlung, die Assemblea Naciona Catalana (ANC), eine Bürgerinitiative, die sich für die Unabhängigkeit Kataloniens einsetzt.

Herr Espelta, Sie sind für die Unabhängigkeit von Katalonien. Was würde sich für Ihre Familie dadurch ändern?

Jörg Espelta Es geht nicht um die Unabhängigkeit an sich. Ich bin kein Revoluzzer, genauso wenig wie die meisten Katalanen, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen. Wir wollen nur eine demokratischere Verfassung, als sie der spanische Staat hat. Wir wollen mehr Autonomie für Katalonien. Es klingt vielleicht idealistisch, aber wir wollen tatsächlich eine bessere Gesellschaft erschaffen, eine gerechtere.

Was empfinden die Katalanen als ungerecht?

Espelta Ich nenne Ihnen drei Beispiele: Die Katalanen haben vor einigen Jahren den Stierkampf verboten, aus Tierschutzgründen, aber das Verbot wurde von der spanischen Zentralregierung wieder aufgehoben, weil der Stierkampf für die Spanier ein nationales Symbol ist. Ein anderes Beispiel: Katalonien wollte sozial schwache Familien davor schützen, dass ihnen Strom, Gas und Wasser abgestellt werden, wenn sie mit den Zahlungen nicht nachkommen. Oder nehmen Sie das Fracking-Verbot. Aber auch diese Regelungen wurden von Madrid kassiert. Deshalb wollen die Katalanen ihr Zusammenleben selbst organisieren, ohne dass die spanische Zentralregierung jedes ihrer Gesetze wieder einkassieren kann.

Und deswegen gehen Hunderttausende auf die Straße?

Espelta Für viele Katalanen ist der "Point of no Return" überschritten. Im jetzigen Status Quo werden sie nicht verharren. Die spanische Regierung hat immer darauf gebaut, dass sich die Unabhängigkeitsbewegung totläuft. Aber sie ist nur noch stärker geworden. Viele Katalanen sind am Sonntag sogar aus dem Ausland angereist, um abzustimmen, auch aus NRW sind etliche hingeflogen. Und nach der Polizeigewalt am Sonntag haben viele, die noch unentschlossen waren, gesagt: Wenn sich Spanien als Besatzungsmacht aufführt, dann beteiligen wir uns.

 Jörg Espelta, ANC-Vertreter in NRW.

Jörg Espelta, ANC-Vertreter in NRW.

Foto: Jörg Espelta

Sie waren am Sonntag in Barcelona. Sind Sie oder ist jemand aus Ihrer Familie verletzt worden?

Espelta Zum Glück nicht. Aber es war knapp. Mein Onkel und meine Tante, die 73 und 77 alt sind, waren in einem der Wahllokale, in denen es zu den Gewaltexzessen mit vielen Verletzte gekommen ist. Aber sie konnten sich rechtzeitig in Sicherheit bringen und in einem anderen Wahllokal abstimmen.

Warum versuchen die Katalanen nicht, innerhalb des spanischen Staates Veränderungen herbeizuführen?

Espelta Die Katalanen haben es versucht. Sie haben der spanischen Zentralregierung immer wieder Gespräche angeboten, um über mehr Autonomie zu verhandeln, zum Beispiel in der Bildungspolitik, in der Sozialpolitik — aber sie sind auf taube Ohren gestoßen. Deshalb sagen sie sich jetzt: Wir können unsere Situation nur verbessern, wenn wir uns eine eigene Verfassung geben.

Oder geht es den Katalanen eigentlich ums Geld?

Espelta Nein. Die Verteilung der Steuereinnahmen ist ein Thema, das will ich nicht leugnen. Aber die Katalanen sind nicht unsolidarisch. Im Gegenteil. Wir geben an den Zentralstaat mehr ab als zum Beispiel die Basken. Diese erheben ihre Steuern selbst und führen einen Prozentsatz an die Zentralregierung ab. Katalonien muss erst einmal alles nach Madrid überweisen und bekommt dann einen Prozentsatz zurück. Ein Vergleich zu Deutschland: Wenn der Freistaat Bayern 4,8 Milliarden Defizit im Länderfinanzausgleich hat, klagt er und bekommt eine Revision. Katalonien ist das bei einem Defizit von 15 Milliarden Euro nicht möglich.

Ist Ihre gesamte Familie für die Unabhängigkeit Kataloniens?

Espelta Nein, einige sind auch dagegen. Aber es es gibt deshalb keinen Riss in der Familie oder eine Spaltung. In meiner Familie wird natürlich leidenschaftlich über das Thema diskutiert — aber zivilisiert. Genauso wie in der gesamten Bevölkerung. Die Gewalt geht ausschließlich vom spanischen Zentralstaat aus.

Sie machen allein die spanische Regierung für die Eskalation verantwortlich. Was hätten die Katalanen besser machen können?

Espelta Natürlich ist das meine Sichtweise. Und natürlich gibt es eine Verhärtung auf beiden Seiten. Aber die Dialogbereitschaft der Katalanen war immer da. Nur leider war die spanische Regierung nicht zu Gesprächen bereit, dadurch ist die Situation eskaliert. Hätte die spanische Regierung den Katalanen ein vernünftiges Angebot gemacht und mehr Autonomie gewährt, wäre es nie so weit gekommen. Es ist ja nicht so, dass da ein paar durchgeknallte Radikalinskis angefangen haben, ihr separatistisches Süppchen zu kochen. Spätestens seit 2010 ist es ein breites Aufbegehren von Linksaußen bis zur bürgerlichen Mitte.

Was ist damals passiert?

Espelta Damals hatten Katalonien und Spanien das Autonomiestatut neu verhandelt. Es wurde vom spanischen Parlament ratifiziert und vom König unterschrieben. Aber dann klagte Rajoy Partei dagegen, und 2010 kippte das Verfassungsgericht das Statut. Viele Katalanen fühlten sich deshalb politisch ohnmächtig, und aus dem Unabhängigkeitsbestreben wurde eine Massenbewegung.

Ihr Vater war Katalane, Sie selbst leben aber im Rheinland und sind deutscher Staatsbürger — am Sonntag durften Sie gar nicht abstimmen. Warum engagieren Sie sich trotzdem?

Espelta Ich glaube tatsächlich, dass es in Katalonien um existenzielle Grundrechte wie die Meinungsfreiheit geht. Für uns in Deutschland sind sie selbstverständlich, in Spanien nicht. Deswegen engagiere ich mich.

(wer)
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