CSU geht auf SPD-Kandidaten los Martin Schulz entfacht neuen Streit ums Kruzifix

Wochenlang dümpelte der Europawahlkampf unbeachtet vor sich hin. Nun aber spricht SPD-Spitzenkandidat Martin Schulz von einem Kruzifix-Verbot für den öffentlichen Raum. Die CSU beschimpft ihn nun als "Gefahr" - und lacht sich insgeheim ins Fäustchen.

Europawahlkampf: Martin Schulz in NRW
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Den Stein des Anstoßes brachte Schulz schon vor einigen Tagen ins Rollen. Zunächst schien es sogar so, als wolle der gleich wieder liegenbleiben, ohne größeres Aufsehen zu erregen. Dann aber, mit ein paar Tagen Verzögerung, fing die CSU Feuer. Seit dem Wochenende beschimpft sie den SPD-Mann als "Gefahr", wirft ihm vor die abendländische Kultur und Rechtsordnung außer Kraft setzen zu wollen, Parteichef Horst Seehofer gibt zu Protokoll, er sei maßlos enttäuscht .

Was ist passiert? Rückblick auf Donnerstagabend. Die Spitzenkandidaten für die Europawahl diskutieren eher unaufgeregt in einer Fernsehdebatte. Zum Thema Religion bemerkt Schulz, religiöse Symbole solle jeder tragen wie er will, öffentliche Räume aber müssten neutral sein. "Ich muss drauf bestehen im Sinne der Nicht-Diskriminierung." Es gebe in Europa "das Risiko einer sehr konservativen Bewegung zurück".

Seit dem Samstag tobt insbesondere im bayerischen Raum ein Sturm der Entrüstung.

"Inakzeptabel" "Eine Abkehr von der christlichen Prägung Europas über Jahrhunderte ist für die CSU vollkommen inakzeptabel", sagt Seehofer dem Münchner Merkur. Dessen Wirtschaftsministerin Ilse Aigner wirft Schulz an gleicher Stelle "mangelnden Respekt vor religiösen Überzeugungen" vor. Es sei "ein Unding, das Kreuz gleichzusetzen mit rückwärtsgewandten, extrem konservativen Bewegungen".

"Angriff" auf die Rechtsordnung Alois Glück, nicht nur CSU-Politiker, sondern auch Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), wertete die Äußerungen des Spitzenkandidaten der Sozialdemokraten bei der Europawahl als "gravierenden Angriff auf die Tradition und Rechtsordnung in Deutschland". Die Forderungen seien geeignet, Christen aller Konfessionen zu verletzen, sagte Glück in Bonn.

"Gefahr" Auch am Montag dauert die Kritik an. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer bezeichnet Schulz in der "Welt" als "Gefahr für die religiöse Toleranz": Schulz stigmatisiere damit christliche Symbole.

Europawahl 2024 - Kandidaten: Die Spitzenkandidaten der EU-Wahl
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Die Spitzenkandidaten der Europawahl 2024

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Foto: dpa/Jens Kalaene

"Leugner" CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt zeigte sich überzeugt, dass die christliche Symbolik Europa ausmache: "Wer in Europa christliche Symbole aus dem öffentlichen Raum verbannen will, verleugnet die Identität Europas. Europa ist und bleibt ein Kontinent mit christlich-jüdischen Wurzeln. Das prägt maßgeblich die Identität Europas." Jeder, der Verantwortung trage, müsse sich dessen bewusst sein.

Auch CDU-Kollege Peter Tauber betonte: "Das Christentum ist nie eine konservative, sondern immer eine fortschrittliche Bewegung gewesen."

Für die CSU eine Steilvorlage

Europas Populisten
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Die Aufregung in Bayern ist so reflexartig wie verständlich. Denn Schulz hat den Christsozialen unverhofft ein populäres Thema in die Hände gespielt, mit dem sich am Samstag vermutlich doch noch die ermüdete Stammwählerschaft mobilisieren lässt. Das nämlich ist seit Wochen das Kernproblem der CSU: sie befürchtet eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und ein entsprechend schwaches Ergebnis. Nach Bundestagswahl, Landtagswahl, Kommunalwahl und Stichwahl sollen die Bayern am 25. Mai schon zum fünften Mal binnen eines Jahres ihre Stimme abgeben.

Entsprechend dürften die gegen die Nichtbeachtung rudernden Wahlkämpfer nun frohlocken. Endlich ein Wahlkampfthema für die Massen. Zur Erinnerung: Als das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe 1995 Teile des Bayerischen Schulgesetzes kassierte, wonach in jedem Klassenzimmer der bayerischen Volksschulen ein Kruzifix anzubringen war, strömten Zentausende empörte Bayern auf die Straße. " Es ist ein Symbolthema für ideologisch aufgeladene Fragen", erläutert der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber der "Welt".

Das Kruzifix hilft gleich doppelt

Im Fall Schulz lässt sich mit dem Kruzifix nun sogar doppelt mobilisieren. Nicht nur die bayerische Identität fühlt sich bedroht, sondern der Angriff erfolgt auch noch von einem aus Brüssel, das München gerne als Bürokratiemonster ohne jeden Bezug zu den wahren Problemen der Menschen beschreibt.

Entsprechend wirft die Union Schulz nun auch die Überschreitung seiner Kompetenzen vor. Denn für entsprechende Regelungen seien die Nationalstaaten zuständig. "Schulz zeigt mit seinen Äußerungen sein wahres Denken eines Europas ohne Wurzeln und ohne Koordinaten", sagt Generalsekretär Scheuer. Kreuze in bayerischen Klassenzimmern und auf Berggipfeln lasse man sich nicht von der EU verbieten. Auch CDU-Kollege Tauber bezeichnete ihn als Bürokraten: "Damit offenbart Herr Schulz, dass er genau das ist, was er vorgibt nicht zu sein: nämlich ein europäischer Bürokrat."

In einer Woche spätestens dürfte sich der Streit ums Kruzifix wieder gelegt haben. Zumal solche Fragen ohnehin nicht auf europäischer Ebene entschieden werden. In einem wegweisenden Urteil hatte vor zwei Jahren der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass es Nationalstaaten vorbehalten bleibe, religiöse Fragen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts zu regeln. Schulz aber bewirbt sich als EU-Kommissionspräsident. Nicht als deutscher Bundeskanzler.

Mit Material von KNA und AFP

(pst)
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