Interview "Hat die EU Humor, Herr Sonneborn?"

Straßburg · Deutschlands Chef-Satiriker und EU-Abgeordneter Martin Sonneborn spricht über "Charlie Hebdo", den Humor der Europäischen Union, die Beziehungen zu Nordkorea und einen Schauprozess gegen die Kanzlerin.

 Martin Sonneborn ist seit 2014 EU-Abgeordneter.

Martin Sonneborn ist seit 2014 EU-Abgeordneter.

Foto: Jan Schnettler

Herr Sonneborn, wann ist Satire lebensgefährlich geworden?

Martin Sonneborn Eigentlich war sie es schon immer. Schon im frühen 19. Jahrhundert in Frankreich war man gefährdet, wenn man Leute karikierte.

Bekommen Sie nach den jüngsten Anschlägen trotzdem Angst?

  Würde sich bei Angela Merkel keiner trauen: Moritz Pfalzgraf (Die Partei) veralbert seinen Chef Martin Sonneborn. Das findet offensichtlich auch der Fotograf spannender als die Interview-Szene. Rechts im Bild: Unser Autor Jan Schnettler.

Würde sich bei Angela Merkel keiner trauen: Moritz Pfalzgraf (Die Partei) veralbert seinen Chef Martin Sonneborn. Das findet offensichtlich auch der Fotograf spannender als die Interview-Szene. Rechts im Bild: Unser Autor Jan Schnettler.

Foto: Felix Überall

Sonneborn Nein, Satire ist ja eigentlich nicht satisfaktionsfähig. Ich habe eher Angst, wenn zu viel Chefredakteure und Politiker sich schützend hinter "Charlie Hebdo" schmeißen oder positiv über meine Branche äußern.

Nach dem Attentat auf die "Charlie Hebdo" mit zwölf Toten sagten Sie unter anderem: "Bei der 'Titanic' könnte so etwas nicht passieren, wir haben nur sechs Redakteure". Wie lange brauchten Sie damals, um in den Satire-Modus zu schalten?

Sonneborn Einen Satire-Modus gibt es nicht. Satire ist eine kritische Grundeinstellung, die sich mit komischen Mitteln Luft verschafft. Und dann sind es nicht so sehr die Ereignisse als solche, auf die man reagiert, sondern die lachhaften Reflexe aus Politik und Medien. Ein französischer Zeichner, der am Tag des Massakers in Paris eine halbe Stunde zu spät in die Redaktion kam, sagte: "Es ist nicht einfach zu arbeiten, wenn man von Idioten wie Angela Merkel unterstützt wird."

Satire heißt wörtlich "bunt gemischtes Allerlei" und bezeichnet somit schon die Gesellschaftsform, in der sie existieren kann. Erhält Satire gesellschaftspolitisch mehr Einfluss, wenn es immer mehr Strömungen gibt, die sich gegen ein "bunt gemischtes Allerlei" der Kulturen und Lebensformen positionieren?

Sonneborn Es gibt ja eigentlich nur vier, fünf Arten, um auf den alltäglichen Irrsinn des kapitalistischen Systems zu reagieren: Alkoholismus, bewaffneter Widerstand, Politik, Satire. Ich setze mich satirisch mit der Umwelt auseinander. Die Bedeutung wird dem dann erst von der Gesellschaft zugeschrieben.

Ab und an weisen Sie auf Ihrer Facebookseite auch auf Unkomisches hin, wie das Schicksal des saudischen Bloggers Raif Badawi, dem der Tod durch Auspeitschung drohte. Hat doch nicht alles und jeder ein Recht, veralbert zu werden?

Sonneborn Doch, das Recht gibt es sicherlich. Aber ein Blogger in Not ist naturgemäß kein Angriffsziel für Satire. Satire funktioniert nur aus einer moralischen Position heraus und gegen überlegene Macht und Autoritäten.

Irre ich mich oder fehlt bei den OSCAR-Gewinnern die Kategorie "Bester Neger"?

Sonneborns Reaktion auf das

Resümee der HH-Wahl: Dieser Eimer hat in St. Pauli mehr Stimmen geholt als die CDU... pic.twitter.com/BRPyjM3KGZ

In Dresden hat Ihre-Satire-Partei "Die Partei" mit subversiven Plakaten einen Pegida-Marsch gekapert. Würde sie auch eine Gegendemonstration kapern?

Sonneborn Warum nicht? Aber momentan ist natürlich Pegida das Ziel. Übrigens lag "Die Partei" bei der letzten Landtagswahl in Dresden in den Wahlbezirken Hecht-West und -Ost klar vor der CDU.

Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl in St. Pauli auch. Wird die Partei immer mehr zur Systempartei, nachdem Sie bereits für die Lügenpresse arbeiteten?

Sonneborn Wir hatten in Hamburg einen hässlichen Blecheimer aufgestellt, der zum Teil mehr Stimmen erhielt als die CDU. Das ist wegweisend für ganz Deutschland. Ja, wir werden das System übernehmen.

Resümee der HH-Wahl: Dieser Eimer hat in St. Pauli mehr Stimmen geholt als die CDU... pic.twitter.com/BRPyjM3KGZ

Die großen Parteien in NRW wollen dummerweise zurück zur Sperrklausel. Was halten Sie dem entgegen?

Sonneborn Lustig! Aber dann gehen wir einfach über drei Prozent. Und die SPD wird sowieso nicht mehr lange in der Lage sein, solche Initiativen zu starten...

Erschwert Ihnen die EU das Lustigsein? Und hat sie das Potenzial, Sie als Satiriker zu brechen?

Sonneborn Nein, es wird eher leichter, angesichts all des Irrsinns hier. Das ist schon eine ziemliche Geisterbahn.

Warum?

Sonneborn Nun, wir betreiben Politainment, gefilmte, unterhaltsame Politik. Politiker, die sich nicht permanent von einem Kamerateam begleiten lassen, sind in meinen Augen eine aussterbende Spezies. Unser nächster Film bei Spiegel-TV thematisiert den Irrsinn der monatlichen Parlaments-Umzüge nach Straßburg. Als wir dazu Informationen suchten — wie viele Lkws fahren jedes Mal hin und her, wie viele Limousinen werden verlegt — liefen wir gegen erstaunlich viele Wände. Die Institution beginnt sich allmählich zu wehren — letztens wurde mein Kamerateam des Hauses verwiesen. Aber wir sind letztlich flexibler. Trotzdem glaube ich, sobald der Film gelaufen ist, sollte ich erst einmal drei Wochen Urlaub machen.

Vermissen Sie die Arbeit bei der "Heute-Show"?

Sonneborn Einerseits ja, andererseits ist es gut, etwas Neues zu machen, nach rund 100 Beiträgen für das ZDF. Und inhaltlich sind wir bei Spiegel-TV tatsächlich noch freier.

Hat die EU eigentlich Humor?

Sonneborn Nur bedingt. Höchstens, wenn sie Udo Voigt von der NPD einen Sitzplatz zuweist, dessen Nummer auf 88 endet.

Was soll einmal ihr Vermächtnis als EU-Politiker werden?

Sonneborn Schauen Sie: Wenn ich 40 Parlamentarier zusammen bekomme, die die Gurkenkrümmungsverordnung für deutsche Exportwaffen einführen wollen, ist die EU-Kommission gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Das sind Mittel, die Absurdität dieses Systems aufzuzeigen. Und wenn man nebenbei die — sehr durchsetzungsfähige und von der Politik geförderte — Waffenindustrie ein bisschen ärgern kann, ist das schon viel. Ich höre auch von vielen Studenten, dass sie in den vergangenen Monaten mehr aus der EU gehört haben als in den letzten 20 Jahren zusammen.

Warum halten Sie das EU-Parlament für sinnlos — und was müsste sich ändern, damit es einen Sinn bekäme?

Sonneborn Zu sagen hat das Parlament de facto wenig. Und dann herrscht noch eine Große Koalition, die die wichtigen Themen sowieso im Vorfeld abspricht. Die Kleinparteien haben wenig zu sagen, ein Einzelner gar nichts. Wir reden hier also bestenfalls von einem demokratischen Feigenblatt. Das könnte sich ändern, wenn das Parlament ein Initiativrecht bekäme. Und ich müsste Parlamentspräsident werden. Dann könnte man die Kommission vor sich hertreiben.

Setzen Sie das Partei-Wahlversprechen um, immer streng abwechselnd mit Ja und Nein zu stimmen?

Sonneborn Größtenteils. Wenn die FPÖ-Abgeordneten mich um etwas bitten, stimme ich aber auch schon mal aus Prinzip gegen sie. Und manchmal nicke ich weg und votiere vielleicht zweimal in Folge auf Nein.

Einmal haben Sie mit Ihrem Votum aber tatsächlich eine Abstimmung entschieden, die 343 zu 342 ausging. Wissen Sie, um was es ging?

Sonneborn Erst war ich ziemlich verdutzt und hoffte, dass wir gerade keine Kriegserklärung abgegeben haben. Ich hatte den Überblick verloren, weil wir in 40 Minuten 240 Mal abstimmen mussten. Aber es war irgendetwas Bedeutungsloses.

Sind Sie der faulste EU-Abgeordnete, wenn Sie immer nur reinschneien, um die Unterschrift für Ihre 304-Euro-Tagespauschale zu leisten?

Sonneborn Gemessen an der Zahl der Reden, Erklärungen und Änderungsanträge bin ich der Zweitfaulste. Der Faulste war länger erkrankt und ist Rekonvaleszent. Ich habe meine Unterschrift übrigens stark verkürzt, seitdem ich hier bin.

Stehen Lobbyisten bei Ihnen Schlange?

Sonneborn Schreiben, die mit "Eure Exzellenz" beginnen, bekomme ich noch viel zu wenige. Aber im Prinzip ja. Allerdings ist die Waffenlobby zum Beispiel auch vollkommen wahllos, sie lädt auch erklärte Rüstungsgegner ein.

Anspruch der "Partei" ist es, wie Sie schon sagten, nicht zuletzt, die Absurditäten des politischen Systems aufzuzeigen. Nachdem die AfD Gold verkaufte, um die Zuschüsse aus der staatlichen Parteienfinanzierung zu erhöhen, verkaufte die Partei Geld. Hat es sich gelohnt?

Sonneborn Absolut. Demnächst werden wir 50-Euro-Scheine für 100 Euro anbieten. Bargeld ist weniger virtuell als Buchgeld, weniger verfolgbar und schlechter von einer Regierung zu beschlagnahmen.

Wie steht es um die Expansionspläne der Partei?

Sonneborn In Österreich sind wir schon, nun gibt es Aktivitäten in der Schweiz und in Südtirol. Und wir setzen auf Nordkorea. Der Austausch könnte für beide Seiten gewinnbringend sein: Die Asiaten wollen wissen, wie man ein Land wiedervereint und dabei eine Hälfte komplett über den Tisch zieht, wir wollen etwas über Kim Jong Uns System lernen. Wir waren anfangs überzeugte Demokraten, mussten aber erkennen, dass auch Autokratien ihre Vorzüge haben. Vielleicht wird es schon im Juni einen Besuch in Nordkorea geben.

Und wann erfolgt die, wie Sie es nennen, "Machtergreifung"?

Sonneborn Wir haben umdisponiert, wir nehmen zuerst Europa und dann Deutschland. Mein Traum ist immer noch, dass sich Angela Merkel in einem Schauprozess im Olympiastadion aus einem Käfig heraus zu rechtfertigen hat.

Im Mai werden Sie 50. Ihr erklärtes Karriereziel, mit Satire eine Fatwa auf sich zu ziehen, ist bis jetzt ein frommer Wunsch geblieben. Sind Sie als Satiriker gescheitert?

Sonneborn Die Wette bei der "Titanic" lautete seinerzeit, wer als Erster eine auf sich zieht — und noch hat es keiner geschafft, also liege ich gut im Rennen. Wahrscheinlich sogar eine Nasenspitze vorne. Als ich nach dem 11. September 2001 skurrile Mohammed-Bilder veröffentlichte, wäre die Fatwa im Übrigen absolut verdient gewesen, denn die waren wirklich unglaublich schlecht.

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