Nachfolge von Martin Schulz Antonio Tajani wird neuer EU-Parlamentspräsident

Straßburg · Das EU-Parlament brauchte vier Wahlgänge, um sich zu entscheiden. Nun steht fest: Der konservative Antonio Tajani wird neuer Präsident und damit Nachfolger des deutschen SPD-Politikers Martin Schulz.

 Der italienische Abgeordnete Antonio Tajani (Europäische Volkspartei).

Der italienische Abgeordnete Antonio Tajani (Europäische Volkspartei).

Foto: dpa, BC abl fgj

Antonio Tajani gehört zur christdemokratischen EVP-Fraktion. Der Konservative setze sich am Dienstagabend in einer Stichwahl gegen den Sozialisten Gianni Pittella durch. Der 63-Jährige tritt die Nachfolge von Martin Schulz (SPD) an. Schulz hat Ende November entschieden, nicht mehr anzutreten und nach Berlin zu wechseln, wo er Außenminister werden könnte.

Schon in den ersten drei Wahlgängen lag Tajani vorn, verpasste aber die erforderlich absolute Mehrheit der Stimmen. Sozialist Pitella holte in der ersten Runde der geheimen Wahl nicht einmal so viele Stimmen wie seine Fraktion Sitze hat. Die EVP-Fraktion ist mit 217 Abgeordneten die größte Gruppe im Europaparlament, gefolgt von den Sozialdemokraten mit 189 Mitgliedern.

Tajani setzte sich schließlich in der Stichwahl, bei der die relative Mehrheit reicht, am Abend mit 351 zu 282 Stimmen durch.

Der Entscheidung für Tajani war ein beispielloser Machtpoker zwischen Sozialisten und Christdemokraten voraus gegangen. Die EVP pochte vergeblich auf eine Vereinbarung mit den Sozialisten aus 2014, wonach sie zur Hälfte der Wahlperiode den Chefposten besetzen sollte. Die Sozialisten fühlten sich an diese Vereinbarung nicht mehr gebunden, weil an der Spitze von Kommission und Rat mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk bereits zwei Politiker aus der christdemokratischen Parteienfamilie stehen.

Der Jurist Tajani ist umstritten, weil er ein langjähriger Gefolgsmann von Silvio Berlusconi ist. Er ist seit 1994 im Europa-Parlament und wurde 2008 EU-Kommissar für Verkehr und später für Industrie. Ihm wird angekreidet, dass er als EU-Kommissar für Industrie angeblich Hinweise auf den VW-Skandal hatte, ihnen aber nicht nachgegangen ist.

Im Europaparlament zeichnet sich nun eine neue politische Allianz ab: Nach dem Krach zwischen Sozialisten und Christdemokraten über die Besetzung des freien Postens und dem Scheitern dieser informellen große Koalition schließen nun Christdemokraten und Liberale einen Pakt.

Die Vereinbarung zwischen Liberalen und EVP soll vom französischen Christdemokraten Joseph Daul eingefädelt und mit den Liberalen am späten Montagabend formuliert worden sein. Der Deal ist ein Erfolg für den Fraktionschef der EVP, den CSU-Politiker Manfred Weber. Damit war nämlich die Basis dafür gelegt, dass sein Kandidat am Ende zum Zuge kommen würde.

Ein Scheitern von Tajani hätte eine Niederlage für Weber selbst bedeutet. Die Regelung der Schulz-Nachfolge war die erste große Personalentscheidung, die Weber als Fraktionschef regeln musste. Wenn die Christdemokraten dabei leer ausgegangen wären, wäre dies ein Debakel für ihn gewesen.

Auf den letzten Drücker war es der christdemokratischen Fraktion (EVP) damit gelungen, einen Schulterschluss mit der liberalen Alde-Fraktion zu schließen. Die EVP, mit 217 Abgeordneten stärkste Fraktion im 751 Sitze umfassenden Haus, einigte sich mit den Liberalen, die über 68 Sitze verfügen, darauf, bei der Präsidentenwahl gemeinsame Sache zu machen.

Der Fraktionschef der Liberalen, der 63-jährige Belgier Guy Verhofstadt, zog seine eigene Kandidatur für den Posten zurück. Damit waren die Chancen des EVP-Kandidaten Antonio Tajani, die Schulz-Nachfolge anzutreten, kräftig gestiegen. Und die Sozialisten, die 189 Sitze haben und mit ihrem Fraktionschef Gianni Pitella ins Rennen gingen, schäumten. Sie ahnten, dass sie im Laufe der weiteren Wahlgänge das Nachsehen haben würden.

Für Guy Verhofstadt ist der Pakt mit den Christdemokraten vor allem aus machttaktischen Motiven wichtig. Der ehemalige belgische Ministerpräsident galt als Fraktionschef der Liberalen im Europaparlament als schwer angeschlagen, seitdem er die Abgeordneten der italienischen Populisten von der Fünf-Sterne-Bewegung in seiner Fraktion aufnehmen wollte und dabei von seiner eigenen Fraktion ausgebremst wurde. Der Deal mit der EVP verschafft ihm da intern wieder Luft.

Manfred Weber befindet sich noch auf Werbetour im Parlament. Er braucht weitere Verbündete. "Wir sind offen für andere", sagte Weber. Mit den Liberalen habe die EVP jetzt eine "Plattform" geschaffen, um konstruktiv mit der EU-Kommission unter Führung von Jean-Claude Juncker zusammen zu arbeiten und "in der Sache Ergebnisse zu erzielen." Das Bündnis mit den Liberalen hilft ihm. Allerdings bringen beide Fraktionen mit 285 Abgeordneten nicht die notwendigen Stimmen für eine absolute Mehrheit zustande.

Da fehlen noch viele Stimmen, bis die beiden Partner gestalten können. Die fehlenden Stimmen könnten von der konservativen EKR-Fraktion kommen. Weber räumte ein, dass es mit den Konservativen Absprachen im Vorfeld der Wahl des Parlamentspräsidenten gegeben habe. Es gebe allerdings "keine schriftliche Vereinbarung", dafür aber eine "sehr vertrauliche Zusammenarbeit" in den Bereichen Binnenmarkt, Terrorbekämpfung und Handelspolitik.

Ihre neue Partnerschaft haben EVP und Liberale mit einem zwei Seiten langen Papier besiegelt. Darin bekräftigen sie ihre Absicht, Reformen in der EU voran zu treiben. Es solle ein gemeinsamer Prozess des Nachdenkens über die Zukunft der EU gestartet werden. Sie fassen auch die "Möglichkeit eines Verfassungskonvents" ins Auge. Dieser Punkt dürfte vor allem Verhofstadt wichtig sein. Allerdings gilt in Berlin und den anderen Hauptstädten ein neuer EU-Konvent als chancenlos.

Mit den Regierungen in Warschau und Budapest werde man sich ohnehin nicht auf eine Vertiefung der Integration einigen können. Außerdem ist das Risiko hoch, dass eine Reform in etlichen Ländern scheitert, wo das Volk laut Verfassung befragt werden müsste.

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