Ein Gastbeitrag von Pierre Moscovici Steuern — Zeit für Transparenz

Meinung | Brüssel · Die EU-Kommission will im Kampf gegen Steuervermeidung mehr Transparenz in der Europäischen Union schaffen. "Es ist an der Zeit, bei der Unternehmensbesteuerung in Europa für Fairness und Transparenz zu sorgen", schreibt EU-Währungskommissar Pierre Moscovici im Gastbeitrag für unsere Redaktion.

 Pierre Moscovici ist Europäischer Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll.

Pierre Moscovici ist Europäischer Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll.

Foto: afp, ed/tlr

"Schon in guten Zeiten ist die Empörung groß, wenn mächtige, hochprofitable Unternehmen ihre Steuerschuld durch die aggressive Ausnutzung von Gesetzeslücken drastisch senken. Und die Zeiten sind nicht die besten. Es sind Zeiten schmerzhafter Opfer, die häufig die Schwächsten in der Gesellschaft am härtesten treffen. In Zeiten wie diesen kann eine solche Ungerechtigkeit nicht mehr hingenommen werden.

Die Botschaft an die politischen Entscheidungsträger in Europa ist eindeutig: Das Maß ist voll! Die Europäische Kommission hat diese Botschaft vernommen und mit Nachdruck darauf reagiert.

Es ist an der Zeit, bei der Unternehmensbesteuerung in Europa für Fairness und Transparenz zu sorgen. Es ist an der Zeit, dass Steuern wieder an dem Ort gezahlt werden, an dem tatsächlich Gewinne gemacht worden sind. Es ist an der Zeit, dass jeder seinen Anteil an den Steuern zahlt.

In den letzten Jahren wurden beachtliche Fortschritte erzielt. So ist es gelungen, Gesetzeslücken zu schließen, die es Einzelpersonen ermöglicht hatten, durch Verschieben von Geld ins Ausland Steuern zu hinterziehen. Vor allem wurde durch die Einführung eines automatischen Informationsaustausches zwischen den nationalen Steuerbehörden über die Konten Gebietsfremder das Bankgeheimnis in Europa abgeschafft. Erst am Donnerstag haben wir ein Abkommen zwischen der EU und der Schweiz paraphiert, das vollständige Transparenz in Bezug auf die Bankkonten gewährleisten soll — ein großer Schritt nach vorn, den viele noch vor wenigen Jahren für unmöglich hielten.

Aber wir müssen bei der Bekämpfung der aggressiven Steuerplanung multinationaler Unternehmen noch viel weiter gehen. Deshalb schlagen wir vor, dass die EU-Mitgliedstaaten automatisch Informationen über die Steuervorbescheide austauschen, die ihre Behörden Unternehmen erteilt haben.

Das Problem liegt in ihrer Undurchsichtigkeit

Steuervorbescheide an sich sind nicht rechtswidrig. Sie sind ein nützliches steuerrechtliches Instrument, mit dem den Unternehmen die Sicherheit gegeben werden kann, die sie für ihre Finanzplanung benötigen. Das Problem liegt in ihrer Undurchsichtigkeit und in der Diskriminierung, die sie mitunter innerhalb des Binnenmarkts verursachen. Allzu oft haben Länder keine Kenntnis von Entscheidungen der Steuerbehörden in anderen EU-Mitgliedstaaten, selbst wenn sie sich direkt auf ihre Steuereinnahmen auswirken können.

Der Unterschied zwischen Steuertrick und Steuerbetrug
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Der Unterschied zwischen Steuertrick und Steuerbetrug

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In einem Binnenmarkt, in dem es neben wirtschaftlicher Effizienz auch um soziale Gerechtigkeit geht, ist diese Art von unlauterem Steuerwettbewerb inakzeptabel. Meine Kollegin Margrethe Vestager hat bereits vier beihilferechtliche Prüfverfahren in Bezug auf Steuervorbescheide in Irland, Luxemburg und den Niederlanden eingeleitet. Ferner hat sie alle Mitgliedstaaten um weitere Auskünfte über ihre Praxis im Bereich der Steuervorbescheide ersucht, um feststellen zu können, ob dadurch der Wettbewerb im Binnenmarkt verfälscht wird.

Im Rahmen des automatischen Informationsaustausches werden alle EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sein, einander alle drei Monate systematisch Angaben zu allen ihren Steuervorbescheiden zu übermitteln, die sich in anderen Mitgliedstaaten auswirken können. Anders als bei den derzeitigen Vorschriften für Steuervorbescheide — die offenkundig nicht funktionieren — wird es keine Ausweichklauseln und keinen Raum für die Auslegung dieser Verpflichtung geben.

Die Informationen, die die Steuerbehörden austauschen müssen, werden im Voraus festgelegt. Sie werden so umfassend sein, dass die Mitgliedstaaten beurteilen können, ob ein Steuervorbescheid für sie von Belang ist. Gleichzeitig werden sie einfach genug sein, dass unnötiger Verwaltungsaufwand vermieden wird. Wenn ein Land nach diesem ersten Austausch meint, dass es mehr über einen bestimmten Steuervorbescheid wissen muss, kann es detailliertere Informationen anfordern. Auf diese Weise werden sich die Mitgliedstaaten der Auswirkungen der Steuervorbescheide anderer Mitgliedstaaten auf ihre Einnahmen stärker bewusst, so dass sie besser reagieren können.

Steuerwettbewerb macht nicht an Grenzen der EU halt

Mehr Transparenz wird den Mitgliedstaaten einen besseren Einblick verschaffen und sie so davon abhalten, unangemessene Steuervorbescheide anzubieten. Gleichzeitig werden Unternehmen weniger geneigt sein, Steuervorbescheide dazu zu benutzen, Gewinne ins Ausland zu verschieben und Steuern zu vermeiden.

Unser Vorschlag wird eine größere Offenheit zwischen den EU-Ländern und eine engere Zusammenarbeit zwischen den Steuerverwaltungen gewährleisten und dadurch die Transparenz in Bezug auf Steuervorbescheide im Vergleich zur derzeitigen Situation grundlegend verbessern. Dies wiederum wird uns unserem Ziel einer gerechteren Besteuerung und eines faireren Steuerwettbewerbs in Europa näherbringen.

Wir haben bereits damit begonnen, über die Machbarkeit weiterer Transparenzmaßnahmen (wie Offenlegungspflichten für multinationale Unternehmen) nachzudenken. Dazu müsste auf der Grundlage solider Analysen und Belege eine fundierte Entscheidung mit vernünftigen Zielen und eindeutig benannten Vorteilen getroffen werden. So weit sind wir aber noch nicht. Die Kommission wird dies jedoch als absolute Priorität behandeln.

Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass der schädliche Steuerwettbewerb nicht an den Grenzen der EU haltmacht. Wir müssen auch in der G20 und der OECD darauf drängen, dass unsere internationalen Partner weitere Schritte unternehmen und sich unseren Zielvorstellungen annähern.

Nun sind die Mitgliedsstaaten der EU am Zug

Vor dem Sommer werden wir ein zweites Maßnahmenpaket zum Steuerwettbewerb im EU-Binnenmarkt vorlegen, einschließlich neuer Ideen zur Wiederbelebung der Diskussion über eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage in Europa, die die Befolgungskosten für Unternehmen verringern und grenzüberschreitende Investitionen fördern würde.

Im Bereich der Steuervorbescheide sind nun die 28 Mitgliedstaaten der EU am Zug. Sie müssen unserem Vorschlag zustimmen, bevor er in die Praxis umgesetzt werden kann. Die europäischen Wähler erwarten, dass sie diese Initiative unterstützen, und zwar unverzüglich. Ich bin zuversichtlich, dass alle Mitgliedstaaten verantwortungsvoll handeln werden."

Pierre Moscovici ist Europäischer Kommissar für Wirtschafts- und Finanzangelegenheiten, Steuern und Zoll.

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