Pressestimmen "Was sich derzeit in Europa abspielt, ist erbärmlich"
Der EU-Sondergipfel zur Griechenland-Krise ist von den Medien reichlich kommentiert worden. Ein Blick in die Meinungsspalten.
Rheinische Post: "Eigentlich hätten die Regierungschefs ihren Gipfel absagen müssen. Wieder hatte Athen eine Reformliste zu spät eingereicht. Wieder reicht sie nicht aus. Doch aufgeheizt, wie die Stimmung ist, hätte eine Absage Schocks an den Börsen erzeugt. So geht das griechische Drama in eine neue Runde, weil die halbstarke Regierung Tsipras genau weiß, dass Merkel – die Geschichtsbücher im Blick, Russland und die USA im Nacken – das Land nicht pleite gehen lassen wird. Europa zahlt einen hohen Preis für die Rettung einer historischen Idee."
Süddeutsche.de: "Jetzt liegt es an den Unterhändlern einen Kompromiss zu finden, mit dem beide Seiten, im wahrsten Sinne des Wortes, leben können. Denn darum geht es ja: Griechenland und die Gläubiger müssen den Bürgern Europas zeigen, dass sie bis zuletzt alles, aber auch wirklich alles getan haben, um den bestmöglichen Kompromiss zu finden. Nur so werden die Parlamente in Athen, Helsinki, Berlin und anderswo diesen Kompromiss annehmen."
Zeit.de: "Die Krise in Griechenland ist viel zu vertrackt, um sie in ein simples Schema von Gut und Böse zu quetschen. Es gibt kein Schwarz-Weiß, sondern nur ganz viel Grau. Europa scheint jedoch nicht in der Lage, dieses Grau aufzulösen und einen auf Dauer tragfähigen Kompromiss zu finden. Auch wenn in dieser Woche ein Grexit in letzter Sekunde verhindert wird und die Tsipras-Regierung letztlich klein beigibt: Die Übereinkunft wird die Krise nicht lösen, denn Griechenland braucht unter den derzeitigen Bedingungen wohl noch ein drittes Rettungspaket. Was sich derzeit in Europa abspielt, ist erbärmlich."
Faz.net: "Denn für das Durchsetzen nationalen Eigensinns war in der EU nie ein Platz, das war die europäische Methode der vergangenen Jahrhunderte. Keine Regierung eines Krisenlandes hat dem öffentlichen Ansehen der europäischen Sache so geschadet wie diese radikale Koalition in Athen, keine hat verbal so viel Porzellan zerschlagen. Leider hat das schon ein anderes Fundament der EU angegriffen: ihre Akzeptanz beim Bürger."
Neue Zürcher Zeitung: "Die mit einem 'Grexit' verbundenen Signale aber könnten und sollten Selbstverantwortung und Reformeifer in den übrigen Euro-Staaten stärken und so die Währungsunion als ganze stabilisieren. Doch die Politik setzt offensichtlich lieber auf Weiterwursteln. Ein nicht enden wollender Reigen von Krisengipfeln ist die wahrscheinlichste Folge davon. Die Währungsunion und Europa als Ganzes wird das leider weiter schwächen, nicht stärken."
Deutsche Welle: "Durch die viel zu späte Vorlage der Verhandlungsposition hat die griechische Regierung diesen Montag, der eigentlich der Tag der Entscheidung werden sollte, auch noch verplempert. Die Euro-Finanzminister zogen mehr oder weniger düpiert unverrichteter Dinge wieder ab, weil es keine entscheidungsreifen Papiere gab. Der Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs, der eigentlich eine Bühne für den dramatischen Durchbruch bieten sollte, schrumpfte durch die unprofessionelle Regie zu einem 'Beratungsgipfel'. Das ist eine neue Kategorie, die Bundeskanzlerin Merkel mal eben aus dem Hut zauberte, um die peinliche Veranstaltung zu bemänteln. Wenn es nicht so traurig um Griechenland und die Euro-Zone stünde, könnte man darüber lachen."
Eisenacher Presse: "Das griechische Drama geht in die Verlängerung. Tsipras und sein Finanzminister Giannis Varoufakis spielen munter ihr Spielchen weiter. Sie pokern hoch und setzen alles auf Sieg. Es ist ein gefährliches Spiel – jedoch von beiden Seiten. Während Athen bewusst mit der Angst eines bröckelnden Euros spielt, halten die Vertreter der 'Institutionen' Griechenland immer knapp über Wasser – von Sondergipfel zu Sondergipfel. Keine Seite traut der anderen. Damit steht nicht weniger als die komplette Währungsunion auf dem Spiel."
"Der Standard" (Wien): "Heute sind die Positionen der Regierung (des griechischen Ministerpräsidenten Alexis) Tsipras mit jenen, die Brüssel, Berlin und Frankfurt vertreten, im Grunde unvereinbar, ein totaler Bruch eigentlich unvermeidbar. Aber selbst wenn die Eurofinanzminister 'Daumen runter' zu den jüngsten griechischen Vorschlägen sagen, bleiben Einigungen auf der höchsten politischen Ebene möglich – wenn nicht sofort, dann etwas später. Und sobald diese Kompromisspapiere neue Risse zeigen, werden sie mit Klebeband wieder zusammengeflickt. Durchwursteln ist das höchste europäische Prinzip. (...) Doch gelegentlich wäre es gut, wenn sich die Regierungen die Langzeitfolgen ihrer Ad-hoc-Entscheidungen etwas genauer überlegten. Die gröbsten Fehler ließen sich dadurch vielleicht vermeiden – wie etwa jener vor 14 Jahren, Griechenland in die Eurozone aufzunehmen."
"Libération" (Paris): "Man hat den Griechen die Tiefe des Abgrunds zeigen müssen. Die verschiedenen Szenarien über eine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands waren pädagogisch nützlich. Man hat sich überzeugen können, dass eine klare Trennung sehr viel teurer würde, als ein schlechter Kompromiss. Es gibt noch keine Vereinbarung mit Griechenland, neue Umbrüche können das mühsam konstruierte Konzept zunichte machen, doch am Rand des Abgrunds hat die Weisheit einen Sieg errungen."
Svenska Dagbladet (Stockholm): "Niemand kann leugnen, dass Griechenland seine Lage selbst verschuldet hat, durch gezielte Manipulation der Staatsfinanzen und übermäßigen öffentlichen Konsum seit Ende der Wirtschaftskrise 2009. Aber es ist in jedermanns Interesse, einen griechischen Zusammenbruch zu verhindern; die Auswirkungen auf die gesamte europäische Wirtschaft wären verheerend. (...) Wenn man die griechische Staatsverschuldung auf alle Griechen verteilt, Neugeborene und Alte, kommt man auf fast 300.000 schwedische Kronen (32.000 Euro) pro Person. Es ist absurd zu glauben, dass sie auch mit den günstigsten Darlehen in der Lage wären, das zurückzuzahlen. 'Freiheit oder Tod', lautet das Motto Griechenlands. Es ist in der Tat ein Motto, das seiner würdig ist."