Parlamentswahlen in den Niederlanden Rechtsliberale haben knappen Vorsprung

Amsterdam · Vor dem Hintergrund wachsender Euroskepsis haben die Niederländer gestern über ein neues Parlament sowie den künftigen EU-Kurs ihres Landes abgestimmt: Der rechtsliberale Noch-Premier Mark Rutte (VVD) und der Sozialdemokrat Diederik Samsom (PvdA) lieferten sich bis zuletzt ein Kopf-an-Kopf-Rennen um den Status der stärksten Partei.

In der Nachwahl-Befragung lag die VVD mit 41 zu 40 Sitzen leicht vorne — das entspricht 27,3 Prozent der Stimmen. Es gilt als fast unumgänglich, dass beide Parteien in einer neuen niederländischen Regierung zusammenarbeiten. Die Frage ist nur - mit wem als Premier und mit welchen Partnern. Das niederländische Parlament hat 150 Sitze, eine stabile Regierung braucht also mindestens 76 Sitze.

Die EU-kritischen Populisten von Rechts und Links schnitten schlechter ab als befürchtet. Islam-Gegner Geert Wilders setzte im Wahlkampf voll auf den Austritt seines Landes aus dem Euro und muss mit einem Verlust von rund zehn Sitzen (6,6 Prozent) rechnen. Linkspopulist Emile Roemer (SP), der zwischenzeitlich in den Umfragen führte, bleibt ungefähr auf bisherigem Stand von 15 Sitzen. Bestimmendes Thema der Kampagne war die Schuldenkrise, die auch die Holländer spüren. Die Wirtschaft lahmt, die Arbeitslosigkeit steigt und weitere Einsparungen sind nötig, um das Defizit zu senken.

Wer Premier ist, hat auch für Europa Bedeutung: Rutte gilt als treuer Verbündeter von Angela Merkels Sparkurs im Kampf gegen die Schuldenkrise. Sozialdemokrat Samsom will lieber in Wachstum investieren und sozial sparen statt sklavisch Brüsseler Defizitgrenzen einzuhalten. Er kämpft zudem für eine gemeinsame Schuldenhaftung in der Währungsunion durch Eurobonds. Er steht also in der Europa-Politik eher dem Club der Südländer um Frankreichs Präsident Francois Hollande nahe.

Bei seinem letzten Wahlkampfauftritt erklärte Rutte: "Die Deutschen haben dieselbe Philosophie wie wir: niedrige Schulden und Arbeitsplätze." Frankreich hingegen sei ein Land hoher Defizite, hoher Steuern und niedrigen Wachstums - das wäre nicht gut für die Niederlande.

Bei der Abstimmung traten 21 Parteien an, 12,5 Millionen Niederländer waren wahlberechtigt. Die Beteiligung lag bei 73 Prozent. Das gelb-schwarze Minderheits-Kabinett war im April nach nicht einmal zwei Jahren gestürzt, weil Duldungspartner und Rechtspopulist Geert Wilders (PVV) Premier Rutte im Streit um Einsparungen zum Einhalten der Euro-Stabilitätskriterien die Unterstützung entzog. Die vorgezogenen Neuwahlen sind die fünften Parlamentswahlen innerhalb von zehn Jahren.

Es ging an den Urnen auch um eine Personenwahl. Kernphysiker Diederik Samsom (41) ist der Shooting-Star des Wahlkampfes. Er zog innerhalb von knapp drei Wochen aus hoffnungslosem Umfrage-Tief mit Mark Rutte gleich. Der smarte Beinahe-Glatz-Kopf hat die gleiche Muster-Schiegersohn-Ausstrahlung wie der 45-jährige Noch-Premier. Im Gegensatz zum Junggesellen Rutte kann er zudem mit zwei Kindern und einer Ehefrau aufwarten, die er nach US-Manier in den Wahlkampf mit einbezog.

In den TV-Debatten präsentierte er sich sachlich, besonnen und gelassen - fast als Staatsmann. Mark Rutte hofft trotzdem, dass der Premier-Bonus ihm am Ende zum Sieg verhilft. Frei nach dem Motto: In der Krise keine Experimente. Experten rechnen mit einer langen Regierungsbildung. Beim Urnengang 2010 dauerte sie vier Monate.

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