Grenzkontrollen Scheitert Schengen, dann scheitert nicht Europa

Meinung | Düsseldorf · Es ist eine Schicksalswoche für Europa. Die EU-Ratschefs entscheiden am Mittwoch über eine feste Quote für die Aufnahme der Flüchtlinge. In der humanitären Krise hat die Union bislang grandios versagt. Dass an Europas Grenzen wieder kontrolliert wird, ist allerdings nicht der Untergang des europäischen Abendlandes.

Polizei stoppt Flüchtlinge an slowenischer Grenze
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Chaos an den Grenzen, EU-Staatschefs, die eine Teilnahme am Gipfeltreffen verweigern und eine Debatte über Sanktionen und Kürzungen von Zuschüssen für Quoten-Verweigerer. Die Europäische Union zeigt sich in diesen Tagen als wirres Konstrukt egoistischer Nationalstaaten. Ausgerechnet die humanitäre Katastrophe, die Millionen Flüchtlinge auf den vermeintlich gelobten Kontinent zieht, belegt, dass Europa in der Not eben nicht zusammensteht. Diese weltweit argwöhnisch beäugte Staatenstruktur, die sich selbst in ihren Verträgen als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts bezeichnet, besticht in diesen Monaten durch nationalstaatliche Egoismen. Selbst leidenschaftliche Kritiker der EU hätten dies nicht für möglich gehalten. Der frühere deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher appelliert verzweifelt an die "Führungsverantwortung der europäischen Demokratien".

Doch die funktioniert offensichtlich nur bei den Agrarsubventionen oder beim gemeinsamen Binnenmarkt. Auch die großen Achsenländer der Integration wie Frankreich bleiben in dieser Krise blass. Die "grande nation" hat dem verzweifelten Münchner Oberbürgermeister vergangene Woche 1000 Flüchtlinge abgenommen, zweihundert mehr als das Saarland. Einige osteuropäische Mitgliedsstaaten weigern sich beharrlich, auch nur einen einzigen Zuflucht-Suchenden aufzunehmen. Einige Mitgliedsstaaten sehen die EU offenbar als "Vollkaskoversicherung", kritisiert der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht Udo di Fabio.

Europa muss sich nun rasch auf eine faire Verteilung und Versorgung der Flüchtlinge besinnen. Das erwächst alleine schon aus der Idee der Aufklärung und des in der Union universell geltenden Grundrechts auf Asyl. Zugleich aber, und das muss in den kommenden Wochen deutlicher werden, gilt der Verfassungsstaat als oberstes Prinzip eines funktionierenden Zusammenlebens. Der Rechtsbruch, auch beim Asyl, muss von keinem demokratischen Staat toleriert werden.

Auch muss kein Land so viele Flüchtlinge aufnehmen, wenn dessen Verwaltungsstrukturen die Organisation, Versorgung und Integration der Menschen nicht leisten können, mithin die Ausübung hoheitlicher Macht (Staatsgewalt) gefährdet ist. Insofern ist die Diskussion über eine Obergrenze von Asylbewerbern durchaus nachvollziehbar und im Kern ja auch im Grundgesetz-Artikel 20 angelegt. Die Aussetzung des Schengen-Abkommens in einer Notlage zementiert also die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats und konterkariert sie nicht, wie einige linke Europaromantiker derzeit meinen. Scheitert Schengen, dann scheitert Europa eben nicht. Es kann vielleicht nur so überleben.

(brö)
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