EU-Kommissar Lewandowski zum EU-Budget "Schieben unbezahlte Rechnungen vor uns her"

Brüssel · Die EU soll in den kommenden sieben Jahren erstmals weniger Geld ausgeben als in der Vergangenheit – und zwar rund drei Prozent im Vergleich zur laufenden Siebenjahresperiode. Das EU-Parlament droht mit einem Veto. Auch Haushaltskommissar Janusz Lewandowski ist unzufrieden mit den vereinbarten 960 Milliarden Euro für 2014 bis 2020. Der Ökonom aus Polen sprach mit unserer Redaktion über den Kompromiss.

Europas Krisenherde im Überblick
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Die EU soll in den kommenden sieben Jahren erstmals weniger Geld ausgeben als in der Vergangenheit — und zwar rund drei Prozent im Vergleich zur laufenden Siebenjahresperiode. Das EU-Parlament droht mit einem Veto. Auch Haushaltskommissar Janusz Lewandowski ist unzufrieden mit den vereinbarten 960 Milliarden Euro für 2014 bis 2020. Der Ökonom aus Polen sprach mit unserer Redaktion über den Kompromiss.

Die großen Zahler-Länder um Deutschland und Großbritannien verordnen der EU einen Sparhaushalt. Ihr eigener Etatentwurf lag rund 95 Milliarden Euro höher. Können Sie mit dem Ergebnis leben?

Lewandowski Ich bin enttäuscht und hoffe, dass das Parlament noch Verbesserungen durchsetzt. Die Strategie Deutschlands war es, unbedingt Großbritannien mit seinen extremen Kürzungswünschen an Bord zu halten — sprich einen Kompromiss zu 27 zu erzielen. Der Preis dafür ist ein Budget des kleinsten gemeinsamen Nenners, das schlecht für Europa ist.

Warum?

Lewandowski Wir haben 2014 bis 2020 rund 40 Milliarden Euro weniger als in der laufenden Siebenjahres-Periode zur Verfügung, sollen damit aber mehr Europa schaffen. Das ist ein historisches Experiment und kommt der Quadratur des Kreises gleich.

Ist es nicht in Zeiten der Krise ein nötiges Zeichen, dass auch Brüssel den Gürtel enger schnallt?

Lewandowski Die Lasten der Euro-Rettung für die Steuerzahler machen diese Budgetverhandlungen schwieriger als je zuvor. Das verstehe ich. Aber es ist unehrlich von den Staats- und Regierungschefs, der EU immer neue Aufgaben zu geben, dann aber das nötige Geld dafür zu verweigern. Außerdem geht es nicht nur um die Höhe des Haushalts,...

...sondern?

Lewandowski Auch um die Art der Ausgaben. Dieses Budget zementiert alte Strukturen anstatt die Zukunftsfähigkeit und Innovationskraft Europas so zu stärken wie die Kommission es wollte. Gerade in Bereichen, wo es besonders schwer ist, Privatinvestoren anzuziehen — etwa beim Netzausbau — wurde besonders stark gekürzt. Das ist kurzsichtig. Europas Wettbewerbsfähigkeit dürfte darunter leiden. Dennoch kann der Kompromiss ein wichtiger Katalysator für Wachstum und Jobs sein.

Das Parlament beklagt, der Entwurf treibe Europa in die Defizit-Union, weil die Lücke zwischen vereinbarten Zahlungen (908,4 Milliarden Euro) und Verpflichtungsermächtigungen (960 Milliarden Euro) — also erlaubten Finanzzusagen für neue Projekte — so groß ist....

Lewandowski Diese Gefahr ist da, auch wenn die Lücke in der laufenden Finanzperiode ähnlich groß ist. Das eigentliche Problem ist, dass wir bereits 16 Milliarden Euro unbezahlte Rechnungen aus 2012 vor uns herschieben. Wenn wir diese Altlasten nicht schnell abbauen, kommen wir 2014 in ernsthafte Finanzierungs-Schwierigkeiten.

Sollte das Europaparlament den Gipfelkompromiss ablehnen, wie es Parlamentspräsident Martin Schulz angedroht hat?

Lewandowski Das Sparbudget ist so nicht akzeptabel, da hat das Europarlament recht. Nachbesserungen sind unerlässlich. Und das Europaparlament denkt da an das Wohl der Gemeinschaft, während die Staats- und Regierungschefs vor allen ihre nationalen Interessen verteidigt haben. Doch ich warne davor, zu überziehen: Wenn es gar keine Einigung gibt, müssen wir mit jährlichen Haushalten auf dem Niveau von 2013 weitermachen.

Das wäre doch prima für Sie, denn der Etat 2013 war der höchste in der Geschichte der EU...

Lewandowski Das wäre ein Desaster für all jene, die Planungs- und Finanzierungssicherheit für mehrjährige Projekte brauchen — wie etwa Forscher. Denn alle Programme für Forschung, Regionalpolitik oder ländliche Entwicklung laufen am Jahresende aus. Die einzigen Etatposten ohne Auslaufdatum sind die Verwaltungsausgaben und die Direktzahlungen für die Bauern.

Was muss das Europaparlament erreichen?

Lewandowski Ich rechne nicht mit einer großen Aufstockung des Volumens. In der laufenden Finanzperiode setzte das Parlament am Ende noch ein Plus von 3,5 Milliarden Euro durch. Um mit so einem Sparbudget leben zu können, muss aber mehr Flexibilität her.

Das heißt?

Lewandowski Nicht genutzte Haushaltsmittel sollen künftig auf den nächsten jährlichen EU-Etat übertragen und in andere Haushaltsrubriken umgeschichtet werden, was bisher nicht geht. Das bedeutet: Die EU-Staaten verzichten auf ihre Milliarden-Rückflüsse aus Brüssel an unverbrauchten Mitteln am Jahresende. Außerdem ist eine Überprüfungsklausel für den Finanzrahmen sinnvoll. Allerdings wäre es ein große Gefahr für Europa, wenn diese Überprüfung mit einem britischen Referendum über einen EU-Austritt zusammenfällt.

Zweifeln Sie mit Blick auf das Gezerre ums Geld an Europas Kraft, gestärkt aus der Krise hervorzugehen?

Lewandowski Wir müssen nach den Bundestagswahlen im September dringend das strittige Thema Vertragsänderungen angehen. Wir sind aus der Phase der Feuerwehreinsätze gegen die Krise heraus — jetzt geht es um eine neue Architektur für die Währungsunion und die EU. Dazu gehört irgendwann auch ein eigener Eurozonen-Haushalt, der ein Stück weit als Disziplinierungsinstrument eingesetzt werden kann. Frei nach dem Motto: Geld gibt es gegen Reformen.

Wird Ihre Heimat Polen bald den Euro einführen?

Lewandowski Ja, aber ich nenne kein Datum. Ich in sicher, dass wir an den nächsten Finanzverhandlungen als starkes Mitglied der Eurozone teilnehmen werden.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk ist als Spitzenkandidat von Europas Konservativen für die Europawahl 2014 im Gespräch. Im Fall eines Siegs soll er dann Kommissionspräsident werden. Sollte Polen in der EU mehr zu sagen haben?

Lewandowski Polen wird gehört und verschafft sich Gehör in der EU. Das ist gut so. Allerdings sollten wir vermeiden, uns als Führungsnation der Osteuropäer in Europa aufzuspielen. Das wäre arrogant und unsere Partner lassen sich nicht gerne bevormunden.

Mit Janusz Lewandowski sprach Anja Ingenrieth.

(ing)
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