Votum gegen Masseneinwanderung Warum sich die Schweiz ins eigene Fleisch schneidet

Brüssel/Bern · Die Schweizer schotten sich ab. Eine knappe Mehrheit der Eidgenossen fürchtet, ausländische Einwanderer könnten den prosperierenden Staat mit der Zeit finanziell ausmergeln. Diese Angst könnte sie bald in die Isolation treiben.

Der Ausländeranteil in den Schweizer Nachbarländern
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Foto: dpa, pse hpl kde

Die Schweiz ist zwar nicht Mitglied der Europäischen Union, unterhält aber besondere Wirtschaftsbeziehungen mit dem mächtigen Wirtschaftsraum. Irgendwie klingt es paradox: Die Schweizer fürchten ökonomische Nachteile durch Einwanderer und haben sich daher in der Volksabstimmung "Gegen Masseneinwanderung" dazu entschlossen, Beschränkungen bei der Zuwanderung zuzustimmen.

Auf der anderen Seite aber könnte dieses Ergebnis, das Bern in den nächsten drei Jahren umsetzen muss, dem Land teuer zu stehen kommen. Denn anders als viele Eidgenossen der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP), die die Initiative ins Leben gerufen haben, glauben, ist die Schweiz für sich genommen keine Wirtschaftsmacht. Nur im Zusammenspiel mit den Nachbarländern der EU, allen voran Deutschland und Frankreich, und durch den Zuzug von qualifizierten Fachkräften geht es dem Alpenland so gut.

60 Prozent des Außenhandels mit der EU

Die wirtschaftlichen Folgen für die Schweiz könnten also weitreichender sein als für Deutschland oder die EU insgesamt. Denn die Eidgenossen wickeln 60 Prozent ihres Außenhandels mit der Gemeinschaft ab. Vieles werde sich nun auf dem diplomatischen Parkett abspielen. Die Frage lautet: Wird die EU tatsächlich die bilateralen Verträge mit der Schweiz einseitig aufkündigen?

Dann hätte die Schweiz ein gravierendes, wirtschaftliches Problem: Aufgrund der "Guillotine-Klausel" - ein Vertrag kann nicht einzeln gekündigt werden - steht ein Paket von insgesamt sieben Verträgen zwischen der Schweiz und der EU auf dem Spiel.

Darin ist nicht nur das Recht auf freien Wohn- und Arbeitsort, sondern auch der privilegierte Zugang der eidgenössischen Wirtschaft zum EU-Binnenmarkt geregelt. Damit wird bisher der Warenverkehr mit der EU deutlich erleichtert. Besonders betroffen wären EU-Bürger. Sie können im Rahmen eines Freizügigkeitsabkommens seit rund zehn Jahren problemlos in das Nicht-EU-Land Schweiz ziehen, wenn sie einen Arbeitsplatz haben.

"Erhebliche Probleme"

Daher wissen auch Europas Spitzenpolitiker um den Ernst der Lage: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erwartet große Probleme durch das Schweizer Votum. "Die Bundesregierung nimmt das Ergebnis dieser Volksabstimmung zur Kenntnis und respektiert es, es ist aber durchaus auch so, dass aus unserer Sicht dieses Ergebnis erhebliche Probleme aufwirft", sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag in Berlin.

Es sei an der Schweiz, auf die Europäische Union zuzugehen und ihr darzulegen, wie sie mit dem Ergebnis umgehen wolle. Es würden schwierige Gespräche zu führen sein. "Unser Interesse muss es doch sein, das Verhältnis EU - Schweiz so eng wie möglich zu bewahren."

Als "eine schlechte Nachricht" für Europa hat Frankreichs Außenminister Laurent Fabius das Schweizer Votum zur Begrenzung der Einwanderung eingestuft. "Das ist ein besorgniserregendes Votum, weil es bedeutet, dass die Schweiz sich auf sich selbst zurückziehen will", sagte Fabius am Montag dem Sender RTL. "Wir werden unsere Beziehungen zur Schweiz überprüfen", fügte Fabius hinzu. Im Nachbarland Schweiz arbeiten zahlreiche Franzosen, 104.000 Franzosen leben dort.

"Wenn das eine fällt, fällt das andere"

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die Schweiz vor Konsequenzen gewarnt. "Wir müssen klar als Antwort sagen, dass man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen kann", sagte Asselborn am Montag in Brüssel vor einem Treffen der EU-Außenminister. "Es gibt verschiedene Errungenschaften in der Europäischen Union, eine davon ist die Freizügigkeit der Menschen und die kann man nicht verwässern." Die Europäische Union müsse zu ihren Prinzipien stehen.

Als die Schweiz in den Verhandlungen mit der Europäischen Union die Freizügigkeit für EU-Bürger akzeptiert habe, "haben wir als Gegenleistung angeboten einen freien, privilegierten Zugang zu unserem Markt", fügte Asselborn hinzu. "Wenn das eine fällt, fällt natürlich auch das andere." In den gegenseitigen Beziehungen werde nun "wahrscheinlich über alles" diskutiert.

Bei einer Volksabstimmung in der Schweiz hatten 50,3 Prozent für die Initiative "Gegen Masseneinwanderung" gestimmt. Das Referendum sieht vor, dass die Regierung innerhalb von drei Jahren jährliche Quoten für die Einwanderung einführen muss. Darin sollen Asylbewerber enthalten sein. Die Schweiz muss nun das seit mehr als zehn Jahren geltende Abkommen mit der EU über den freien Personenverkehr neu aushandeln.

(nbe)
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