Schwerste Wirtschaftskrise seit dem Krieg So krank ist Frankreich

Paris/Berlin · Die Zukunft der Währungsunion hängt an Paris und Berlin. Doch ausgerechnet Frankreich befindet sich in der schwersten Wirtschaftskrise seit dem Krieg. Fällt das Top-Rating, kommt der Euro ins Trudeln.

 Nicolas Sarkozy ist nach Meinung eines Wirtschaftsweisen gescheitert.

Nicolas Sarkozy ist nach Meinung eines Wirtschaftsweisen gescheitert.

Foto: EPA FILE, dpa

Die Stimme von Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat gewöhnlich Gewicht auf den Finanzmärkten. "Frankreich wackelt nicht", beschied er der "Berliner Zeitung". "Die Zinsniveaus sind im historischen Vergleich nicht außergewöhnlich hoch."

Die Akteure der Finanzmärkte sind indes trotz des Urteils aus berufenem Mund diesmal anderer Meinung. So muss Frankreich für zehnjährige Staatsschuld-verschreibungen 1,5 Prozent mehr bezahlen als Deutschland, obwohl beide bei den Rating-Agenturen jeweils die Bestnote haben.

Richtig gefährlich wird es, wenn die zweitgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ihr Top-Rating verliert. Dann sind schnell Zinsen von sieben bis acht Prozent fällig. Frankreichs Wirtschaft käme ins Trudeln und mit ihr die europäische Währung.

Gefährliche Situation für die Euro-Zone

In deutschen Regierungskreisen wird die Situation Frankreichs inzwischen als die gefährlichste für die Existenz der gesamten Euro-Zone angesehen. "Die Augen der Finanzakteure richten sich auf Frankreich und die Antwort aus Paris lässt derzeit zu wünschen übrig", heißt es. Sollte das Nachbarland seine Reform- und Sparmaßnahmen nicht endlich durchsetzen, werde es zum "Sprengsatz Europas", befürchtet ein führender Oppositionspolitiker im Bundestag. Spätestens im Frühjahr 2012 sei es soweit. Dann stehe die Währungsunion vor ihrer schwersten Zerreißprobe.

Die Daten der Grande Nation sind jedenfalls düster. Der Chefvolkswirt der Privatbank Berenberg, Holger Schmieding, hat die ökonomische Lage Frankreichs auf einer Gesundheits- und Genesungsskala mit anderen europäischen Ländern verglichen. Danach sind nur Griechenland, Italien, Portugal und Zypern kränker als die Nummer zwei der EU. Noch schlimmer sieht es beim Genesungsprozess aus. Dort erhalten Griechenland, Spanien und Irland Bestnoten, während sich Frankreich auf dem vorletzten Platz befindet.

Die Lage im Viereck zwischen Ardennen und Pyrenäen, Rhein und Atlantik ist dramatisch. Jeder fünfte junge Franzose ist arbeitslos. Die Beschäftigung hat sich seit 2002 kaum geändert, während in Deutschland in der gleichen Zeit über zwei Millionen Jobs dazu gekommen sind. Zugleich sprengen die französischen Staatsausgaben jedes Maß.

Fast 57 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, also des Wertes aller in einem Jahr gefertigten Güter und Dienstleistungen, beansprucht der Staat für sich, in Deutschland sind es 48 Prozent. Jeder vierte Franzose arbeitet im öffentlichen Dienst. Das Volk, dessen Elite so viel Wert auf exaktes Denken legt, leistet sich für seine 64 Millionen Einwohner Sozialausgaben in einer Höhe, die Deutschland nicht einmal für seine fast 82 Millionen Bürger benötigt.

"Frankreich wandert vom Kern an den Rand"

Schon nehmen die internationalen Fondsgesellschaften französische Anleihen und Aktien gezielt aus ihren Portfolios. "Frankreich wandert vom Kern an den Rand", mahnt Holger Sandte, Chefvolkswirt der renommierten Vermögensverwaltung WestLB Mellon. Für ihn ist der Grund klar. "Die Franzosen haben nur äußerst halbherzig ihre ökonomischen Hausaufgaben gemacht." Der Arbeitsmarkt ist verkrustet, ein wettbewerbsfähiger Mittelstand fehlt, und viele der Großunternehmen verlassen sich nach wie vor auf den Staat.

Enttäuscht hat vor allem der französische Präsident Nicolas Sarkozy. "Wirtschaftlich ist er auf ganzer Linie gescheitert", findet Elie Cohen, einer der französischen Wirtschaftsweisen. Eine Chance, so glauben viele Experten, haben die Franzosen nur dann, wenn sie sich gemeinsam auf einen harten Konsolidierungskurs verständigen. Das allein könnte die fast sichere Herabstufung durch die Rating-Agenturen noch aufhalten. Denn sein ökonomisches Potenzial, meint auch WestLB-Mellon-Experte Sandte, hat das Land "noch längst nicht ausgeschöpft".

(RP/felt)
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