Valdis Dombrovskis im Interview EU-Kommission will bei Brexit-Fahrplan hart bleiben

Brüssel · Im Interview mit unserer Redaktion spricht Valdis Dombrovskis, Vize-Präsident der EU-Kommission, über die Erweiterung der Euro-Zone, die Reformen in Griechenland und die Probleme mit den Briten.

 Valdis Dombrovskis (Archiv).

Valdis Dombrovskis (Archiv).

Foto: afp

Europas Schaltzentrale steht am Rande von Brüssel. Im zehnten Stock des Berlaymont, wie das massive Gebäude heißt, sitzt Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der EU-Kommission. Wir treffen den Letten in seinem schmucklosen Büro. Seine Nachbarin ist die Wettbewerbskommissarin, sein Markenzeichen seine Pünktlichkeit.

Jean-Claude Juncker fordert eine Erweiterung der Eurozone. Würden wir nicht den Fehler wiederholen, der bei Griechenland gemacht wurde?

Dombrovskis Juncker hat zunächst einmal nichts anderes getan, als die Verpflichtung aller EU-Mitglieder - mit Ausnahme von Großbritannien und Dänemark - zu betonen, der gemeinsamen Währung beizutreten, sobald sie die Kriterien dafür erfüllen. Die Kommission wird alles dafür tun, um ihnen auf diesem Weg zu helfen und um sicherzustellen, dass es eben nicht zu einem Euro-Beitritt kommt, bevor diese Länder wirklich bereit sind. Die Kriterien dafür werden in keiner Weise aufgeweicht, im Gegenteil: ihre dauerhafte Einhaltung muss gegeben sein.

Sie selbst haben Bulgarien als einen Beitrittskandidaten genannt...

Dombrovskis Ja, das Land arbeitet zielstrebig an seiner Euro-Perspektive.

Wann könnte Bulgarien soweit sein?

Dombrovskis Wenn man das vorgeschriebene Verfahren zugrunde legt, und auch wenn alles glatt abläuft, würde dies länger als drei Jahre dauern.

Sie sprechen von einer Verpflichtung. Schweden müsste den Euro dann doch eingeführt haben?

Dombrovskis Es ist richtig, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die sich entschlossen haben, der Eurozone nicht beizutreten, obwohl sie dazu in der Lage wären. Wir werden nicht versuchen, diese Länder zum Beitritt zu zwingen. Dennoch nehmen wir den Auftrag einer Euro-Erweiterung ernst.

Braucht die Eurozone einen eigenen Haushalt, wie es Frankreich fordert?

Dombrovskis Jean-Claude Juncker hat ein spezielles Budget zur Stärkung der Eurozone vorgeschlagen, das allerdings innerhalb des allgemeinen EU-Haushalts angesiedelt ist. Das ist, wie ich glaube, ein realistischerer Ansatz als die Schaffung eines eigenen Eurozonen-Haushalts. Und ich möchte betonen, dass es nicht darum geht, über diese Mittel einen dauerhaften Transfermechanismus zu etablieren. Dieses Geld soll ausschließlich von Fall zu Fall eingesetzt werden, um etwa vorübergehend ökonomische Schocks abzufedern, die ein Land treffen könnten.

Ein eigenes Parlament für die Eurozone wird auch gefordert ...

Dombrovskis Ich denke, da ist unsere Position sehr klar: Wir haben ein Europäisches Parlament, das sehr gut auch für den Euroraum entscheiden kann. Doppelstrukturen sind nicht nötig.

Griechenland hat einen Schuldenberg von 180 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Braucht das Land einen Schuldenschnitt, also einen weiteren Erlass von Schulden?

Dombrovskis Die Eurogruppe hat im Mai 2016 ein Paket von kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen beschlossen, mit dem wir einen Schuldenschnitt vermeiden können. Ich sehe nicht, dass sich daran etwas geändert hat.

Aber der Internationale Währungsfonds (IWF) ist der Ansicht, dass es ohne Schuldenschnitt nicht geht...

Dombrovskis Der IWF hatte deutlich pessimistischere Prognosen als die EU-Kommission. Wenn man heute die Haushaltsergebnisse von 2015 und 2016 betrachtet, sind sogar unsere Kommissionsprognosen übertroffen worden. Die griechische Wirtschaft wächst wieder und wir hoffen, dass der Rat später in diesem Monat das Verfahren gegen Griechenland wegen übermäßigen Defizits aufhebt. Es ist jetzt wichtig 2018 einen Primärüberschuss von 3,5 Prozent zu erreichen, um das Problem der hohen Schulden anzugehen. Wenn es in Griechenland aufwärts geht, das Land seine Reformen wie vereinbart umsetzt und die von der Eurogruppe vereinbarten Schuldenmaßnahmen kommen, dann sind wir zuversichtlich, dass das Land sein Schuldenproblem bewältigen kann.

Europa hat oft beklagt, dass die griechische Regierung Reformen verspricht, sie aber nicht umsetzt. Sind Sie zuversichtlich, dass es klappt?

Dombrovskis Die Durchsetzung von Reformen ist ein langer Weg. Das haben wir bei drei Programmen gesehen, die wir für Griechenland gemacht haben. Aber insgesamt wurde durch die drei Programme viel erreicht - stabilere öffentliche Finanzen, eine modernere Verwaltung und eine stärkere Wirtschaft.

Manche warnen, der Anstieg des Euro zum Dollar könnte zur größten Gefahr werden. Sind Sie besorgt?

Dombrovskis Nein. Mal ist der Dollar stark, mal der Euro. Im Übrigen ist die Geldpolitik Aufgabe der Europäischen Zentralbank. Und sie orientiert ihre Geldpolitik nicht an Wechselkursen oder dem Zinssatz, sondern allein an der Inflationsrate.

Mit ihrer Nullzinspolitik verärgert die Europäische Zentralbank (EZB) viele Sparer in Europa. Ist es nicht höchste Zeit, dass die EU die ultralockere Geldpolitik beendet und die Zinsen wieder anhebt?

Dombrovskis Die EZB ist unabhängig, und sie allein entscheidet über die Geldpolitik. Sie hat ihr Ziel klar formuliert: Sie will eine Inflationsrate, die knapp unter zwei Prozent liegt. Wenn die Inflationsrate wieder höher liegt, wird sie ihre Geldpolitik sicherlich verändern.

Die niedrigen Zinsen sind auch für viele Sparer ein Problem, die fürs Alter vorsorgen. Sie haben nun ein "Pan European Pension Product" (PEPP) vorgeschlagen, eine europaweite Altersvorsorge. Wann wird die kommen?

Dombrovskis Derzeit befasst sich das EU-Parlament mit meinem Vorschlag, 2018 könnte es eine Entscheidung über die Einführung geben. Zum einen wollen wir so den europäischen Kapitalmarkt ankurbeln, zum anderen die private Altersvorsorge attraktiver machen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern gibt es ein demografisches Problem. Und im Schnitt haben heute nur 27 Prozent der Europäer im Alter zwischen 25 und 59 Jahren ein freiwilliges Altersvorsorgeprodukt.

Soll es eine Pflichtversicherung sein?

Dombrovskis Bei PEPP soll es sich um ein freiwilliges Angebot handeln, es ist keine europäische Pflichtversicherung geplant. Der Knackpunkt ist die Besteuerung der Erträge aus der privaten Altersvorsorge. Hier gibt es große Unterschiede in der EU. Diese Frage müssen wir noch lösen.

Viele Fragen gibt es auch beim britischen EU-Austritt zu klären, aber die Verhandlungen stecken fest. Besorgt?

Dombrovskis Natürlich schauen wir auf den sehr engen Zeitrahmen, den wir zur Verfügung haben. Und seit der offiziellen Antragstellung Ende März durch die britische Regierung sind wir in der Tat noch nicht sehr weit gekommen.

Die britische Regierung drängt darauf, sofort auch über Handelsverträge zu sprechen, obwohl vereinbart war, erst Einigung in anderen wichtigen Fragen zu erzielen. Wird die EU in diesem Punkt hart bleiben?

Dombrovskis Wir haben zur Bedingung gemacht, dass es erst substanzielle Fortschritte bei drei Punkten geben muss, bevor wir uns über künftige Handelsbeziehungen unterhalten: Der Status von EU-Bürgern im Vereinigten Königreich, die Frage der irischen Grenze und die Zahlungen, die Großbritannien noch an die EU zu leisten hat. Und ich kann nicht erkennen, dass auf unserer Seite jemand von dieser Verhandlungslinie abweichen will.

Was passiert, wenn es nicht gelingt, die Brexit-Verhandlungen innerhalb von zwei Jahren abzuschließen?

Dombrovskis Dann gehen wir entweder ohne Deal auseinander - was beide Seiten vermeiden wollen. Oder es gibt eine Verlängerungsfrist für die Gespräche, der aber alle EU-Mitglieder zustimmen müssten. Aber noch ist es viel zu früh, um darüber zu reden. Wir wollen ganz klar bis Anfang 2019 zu einem Ergebnis kommen. Das ist unser Ziel, und dieses Ziel bleibt erreichbar.

Es gibt britische Vorwürfe, die EU wolle den Brexit zum Anlass nehmen, um den Finanzplatz London zu schwächen. Trifft das zu?

Dombrovskis Nein. Aber wir stehen vor dem Problem, dass nach dem Brexit die EU-Finanzaufsicht nicht mehr für Banken mit Sitz in London zuständig wäre. Bisher ist London der wichtigste Handelsplatz für das Euro-Clearing, also die Abwicklung des Handels mit Euro-Wertpapieren. Wir haben nicht vor, alle britischen Clearing-Häuser zum Umzug in die EU zu zwingen. Sollte es sich aber um systemrelevante Häuser handeln, müssen sie die gleichen Regeln wie Konkurrenten in der EU erfüllen. Und sollte dies nicht ausreichen, käme auch eine Niederlassungspflicht in der EU infrage.

Antje Höning und Matthias Beermann führten das Gespräch.

(anh, bee)
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