Nach Votum in der Schweiz Rückenwind für Rechtspopulisten bereitet EU Sorgen

Brüssel · Knappe Mehrheit beim Volksentscheid: Die Schweiz hat für eine Beschränkung des Zuzugs von Einwanderern gestimmt. Bei den Anhängern in der Schweiz löste das Ergebnis Jubel aus. Doch nicht nur dort.

Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer
Infos

Aus diesen Ländern kommen die meisten Einwanderer

Infos
Foto: Caro / Oberhaeuser

Wolfgang Schäuble weiß um den Ernst der Lage: Nach dem Schweizer Votum zur Zuwanderung forderte der Bundesfinanzminister die Politik zu einer klaren Abgrenzung von Populisten und Euroskeptikern auf. Im Gespräch mit den "Stuttgarter Nachrichten" sagte er: "Wir müssen im Europawahlkampf klar machen, wie sehr die Menschen von der Freizügigkeit profitieren."

Der oberste Hüter deutscher Steuergelder spricht von Profit und meint damit sicherlich auch den wirtschaftlichen Vorteil für die Schweizer, die EU und natürlich auch die Deutschen. Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Eidgenossen und dem großen Nachbarn im Norden sind eng.

Weniger Europa gut für das Land

Schäuble aber drückte vor allem eine große Sorge aus, die nicht unbegründet zu sein scheint: Die rechtspopulistischen Parteien in Europa erleben durch das Schweizer Votum Auftrieb. Sie fühlen sich von den nationalistischen Bestrebungen der Eidgenossen in ihrer Haltung gestärkt, dass weniger Europa gut sei für ihr Land.

Wie ernst Schäubles Sorgen zu nehmen sind, zeigten die Reaktionen aus den rechtspopulistischen Mamchtzentralen in Europa. "Das sind wunderbare Nachrichten für die Anhänger von staatlicher Souveränität und Freiheit in ganz Europa", sagte der Vorsitzende der anti-europäischen United Kingdom Independence Party (UKIP), Nigel Farage. Der Vize-Vorsitzende der französischen Partei Front National, Florian Philippot, lobte: "Gut gemacht, Schweiz! Eine echte Demokratie!"

Und am Montagabend verkündete Bernd Lucke, Sprecher der Alternative für Deutschland (AfD), beim ARD-Talk "Hart aber Fair" selbstbewusst die nationalistische Botschaft: "In jederlei Hinsicht ist Zuwanderung negativ für Europa." Lucke erklärte zudem, dass eine solche Abstimmung, wäre sie in Deutschland möglich, "mindestens genauso deutlich entschieden würde".

Übereinstimmungen zwischen NPD und AfD

Die rechtsextreme NPD teilte mit, die Schweiz habe gezeigt, dass es möglich sei, gegen "Masseneinwanderung" vorzugehen. Die Deutschen würden ähnlich wählen, wenn sie gefragt würden, hieß es weiter. Merkwürdige Übereinstimmungen sind zu erkennen zwischen AfD und NPD.

Ironischerweise nahm in Italien die rechtspopulistische Lega Nord das Ergebnis des Volksentscheids im Nachbarland mit Verärgerung zur Kenntnis. Das mag wohl daran liegen, dass sich die Machtbasis der Partei in der Lombardei befindet. Von dort pendeln Zehntausende Italiener tagtäglich in die Schweiz, um dort zu arbeiten.

Viele EU-Politiker dürften besorgt auf den 25. Mai blicken — es ist der Tag der Europawahl. Denn die Abstimmung könnte das stärkste anti-europäische Europaparlament der Geschichte hervorbringen, warnte etwa Italiens Ministerpräsident Enrico Letta. "Ich will Alarm schlagen in Europa. Populismus ist eine große Gefahr."

27 Prozent für EU-Kritiker?

Ein starkes Abschneiden der Europa-Gegner von rechts und links, so die Sorge, könnte die EU nicht nur grundlegend verändern, sondern massiv schädigen. Denn ein EU-Parlament, in dem sich ganze Fraktionen nicht an Entscheidungsfindungen und Kompromissen beteiligen wollen, würde die gemeinsamen Reformbemühungen der 28-EU-Staaten auf Jahre hinaus erschweren.

"Im Extremszenario können die EU-skeptischen Kräfte insgesamt 27 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen und 203 der 751 Sitze im Europäischen Parlament besetzen", heißt es in einer Studie, die Analysten der Deutschen Bank erstellt haben.

Von der rechtsradikalen Front National in Frankreich über die nationalistische Ukip-Partei in Großbritannien, die früheren "Wahren Finnen" bis zu den Linkspopulisten der Syriza-Bewegung in Griechenland erleben seit Monaten diejenigen Kräfte einen Auftrieb, die nicht nur den Euro abschaffen, sondern möglichst auch andere Integrationsschritte der EU rückabwickeln wollen.

"Gefahr nicht unterschätzen"

Man dürfe "nicht unterschätzen, wie groß die Gefahr ist, dass die Anti-Europäer, die Rechtspopulisten und Rechtsradikalen zum ersten Mal Morgenluft wittern, um dieses große europäische Projekt zu stoppen und zu stören", stimmt auch SPD-Chef Sigmar Gabriel auf Schäublme mahnende Worte mit ein.

Die Furcht ist durchaus begründet: "Morgenluft" schnuppern die Europaskeptiker durch gute Umfragewerte - so liegt die Ukip in Großbritannien bei rund 20 Prozent, der Front National in Frankreich bescheinigen die Demoskopen in Frankreich sogar Chancen, stärkste Partei bei der Wahl im Mai zu werden.

Auf EU-Ebene haben Vertreter mehrerer Parteien in Wien bereits selbstbewusst versucht, eine grenzübergreifende Initiative zu starten - und die Chancen für eine künftige Allianz im EU-Parlament auszuloten. Das Selbstbewusstsein dieser teilweise nationalistischen, auf anti-islamische und xenophobe Stimmungen schwimmenden Gruppen hat alle alarmiert.

(nbe)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort