Chef des Münchner Ifo-Instituts warnt: Wegen Brexit droht Börsen-Crash

London · Während die Brexit-Befürworter in Umfragen zulegen, warnen immer mehr Wissenschaftler und Unternehmen vor dem Ausstieg. Premier Cameron droht mit Rentenkürzungen.

Die Folgen des Brexit.

Die Folgen des Brexit.

Foto: Schnettler

Zwei Wochen vor der historischen Abstimmung in Großbritannien sprechen sich immer mehr Prominente gegen einen Brexit aus, doch in Umfragen bekommen die Brexit-Befürworter Zulauf. Justin Welby, Oberhaupt der anglikanischen Kirche, erklärte in einem Beitrag für die "Mail on Sunday", er werde gegen den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union stimmen. "Die EU ist in einem durch den Krieg zerstörten Europa entstanden und hat den Kontinent geprägt." Sie habe den Europäern mehr Wohlstand gebracht als je zuvor. Im "Daily Telegraph" schrieben 13 Nobelpreisträger, ein Ausstieg drohe der Wissenschaft zu schaden.

Der britische Premier David Cameron, der für einen Verbleib kämpft, versucht die ältere Bevölkerung zu locken. Er warnt, ein EU-Austritt würde ein Loch in die öffentlichen Finanzen reißen. Deshalb müsse Großbritannien dann auf jährliche Renten-Erhöhungen, die Befreiung von Fernsehgebühren oder Gratis-Bustickets verzichten. Auch im öffentlichen Gesundheitswesen müsse gespart werden. Wirtschaftsexperten und Ökonomen sind sich einig, dass ein Brexit der europäischen, aber vor allem der britischen Wirtschaft schadet.

Börsencrash Clemens Fuest, Chef des Münchener Instituts Ifo, warnt: "Wenn es zu einem Brexit kommt, wird das voraussichtlich erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen haben. Kurzfristig wird es zu einem Rückgang des Pfundkurses kommen, auch der Euro dürfte gegenüber dem Dollar verlieren, die Aktien werden vermutlich weltweit fallen." Das fürchten auch die Anleger. Je näher der 23. Juni rückt, desto stärker steigt die Nervosität an den Finanzmärkten. Am Freitag rutschte der Dax wieder unter 10.000 Punkte. Seit Jahresanfang hat er acht Prozent verloren, Bankaktien noch viel mehr. Die deutsche Finanzaufsicht warnte: Die größten Institute bekämen bei einem Brexit die größten Probleme.

Britische Wirtschaft Unter einem Brexit würde vor allem die britische Wirtschaft leiden. "Im Vereinigten Königreich droht ein Konjunkturabschwung, weil die Unsicherheit darüber groß wäre, wie die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Großbritannien und der EU künftig aussehen werden. Viele Unternehmen würden Investitionen auf Eis legen, bis das geklärt ist", sagte der Ifo-Chef. Eine Neuordnung der Beziehungen zur EU würde laut EU-Ratspräsident Donald Tusk sieben Jahre dauern. Dabei geht es auch um die Frage, ob und welche Privilegien die EU den Briten künftig noch einräumt. Dürfen sie Teil einer Freihandelszone bleiben? Was wird aus den Banken, wenn sie von London aus nicht mehr mit der EU handeln können?

Acht Prozent des britischen Sozialprodukts stammen aus der Finanzbranche, diese würde durch einen Brexit erheblich geschwächt. Noch ist London der zweitgrößte Finanzplatz der Welt. Viele US-Banken haben hier ihre Europa-Zentrale und beschäftigen 40.000 meist gut verdienende Mitarbeiter. Doch bei einem Austritt würde sich für viele US-Banken die Standort-Frage stellen, hatte unlängst Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret gewarnt. Denn ohne Zugang zur EU macht London für die US-Banken nur noch wenig Sinn.

Deutsche Wirtschaft Auch die deutsche Wirtschaft könnte leiden. "Untersuchungen des Ifo zeigen, dass Deutschland langfristig einen Verlust in Höhe von bis zu drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erleiden könnte", sagte Fuest. Großbritannien ist für deutsche Exporteure der drittwichtigste Absatzmarkt nach den USA und Frankreich. Wenn nun deutsche Exporteure hier Zölle zahlen müssten, könnte sich das ändern. Insbesondere die stark engagierte Auto-Industrie bangt um ihren lukrativen Markt.

Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, fürchtet vor allem Ansteckungseffekte. "Dann hat man wieder einen Mechanismus, der letztlich Europa und auch Deutschland wieder in die Rezession führen kann, so wie in der globalen Finanzkrise 2008 und 2009."

(mar)
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