Analyse Euro-Krise à la française

Berlin · Griechenland droht erneut das Geld auszugehen. In Frankreich würde die Rechtspopulistin Marine Le Pen die Weichen gerne auf "Frexit" stellen. Die Risikoprämien für Staatsanleihen ziehen an.

Eine Weile schien die Euro-Krise verschwunden, nun kommt sie mit Macht zurück. Griechenland diskutiert über den Austritt aus der Euro-Zone, ein Drittel des Volkes ist dafür. Verzweifelt warnte Zentralbank-Chef Joannis Stournaras nun: "Wer solchen Unsinn erzählt, soll nach Nordkorea reisen." Da könne man sehen, was passieren würde. Auch Frankreich rückt in den Fokus, wo die rechtsextreme Marine Le Pen gerne Präsidentin werden würde.

Das beunruhigt die Kapitalmärkte. "Die Risikoprämien für Staatsanleihen sind in den vergangenen Wochen ungewöhnlich stark angestiegen. Es werden Erinnerungen an die Euro-Krise wach", sagt David Schnautz, Analyst der Commerzbank London, unserer Redaktion. Für eine zehnjährige Staatsanleihe aus Deutschland sind nur 0,32 Prozent fällig, bei Italien sind es dagegen 2,25 Prozent und bei Griechenland 7,2 Prozent. Zuletzt ist auch die Risikoprämie für französische Anleihen überraschend gestiegen, für die Anleihe muss Paris 1,02 Prozent zahlen. Die Differenz zwischen den Zinsen der Staatsanleihen ("Spread") ist die Risikoprämie, die ein Land Anlegern zahlen muss, damit sie Anleihen kaufen.

"Die Euro-Krise war nie weg, die steigenden Risikoprämien sind Ausdruck wachsender Unsicherheit", sagt Roland Döhrn, Experte des RWI-Leibniz-Institutes für Wirtschaftsforschung. "Zum einen haben Anleger die Sorge, dass die Europäische Zentralbank wegen der steigenden Inflationsrate schneller als erwartet die lockere Geldpolitik beendet. Zum anderen sind sie besorgt wegen Frankreich", sagt Schnautz.

Frankreich Im zweitgrößten Land der Euro-Zone steht am 23. April die Präsidentschaftswahl an. Weil der konservative François Fillon in einen Skandal um Nebeneinkünfte seiner Frau verwickelt ist, ist jetzt der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron der wahrscheinlichste Gegner für Marine Le Pen, die laut Umfragen sicher in die Stichwahl kommt. "Die herrschende Meinung im Markt geht zwar davon aus, dass Le Pen in der Stichwahl unterliegt. Doch bei den Voten zu Brexit und US-Präsidenten haben die Märkte schon zweimal daneben gelegen", erklärt Schnautz die Sorgen der Anleger. "Sollte Le Pen Präsidentin werden, wird Europa im Mark erschüttert", sagt Döhrn. "Schließlich hat sie angekündigt, den Austritt aus der Europäischen Union beantragen zu wollen." Einen Frexit würde die EU nicht verkraften.

Frankreichs Wirtschaft dümpelt dahin, die Sozialreformen kommen nicht voran. Die 35-Stunden-Woche ist offiziell noch immer nicht abgeschafft. Der Staatssektor ist noch aufgeblähter als in Griechenland. Die Arbeitslosenquote liegt bei fast zehn Prozent, jeder vierte Jugendliche hat keinen Job. Der Gesamtschuldenstand hat sich 25 Jahre nach dem Maastricht-Vertrag auf 97,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fast verdoppelt. Die Industrieproduktion hat noch immer nicht das Niveau von vor der Finanzkrise 2007 erreicht. Was dem Land fehlt, ist eine französische Hartz-Reform - und ein neues Problembewusstsein der Elite.

Griechenland Das Elf-Millionen-Einwohner-Land kommt nicht voran. Die Wirtschaft schrumpft wieder. Das Bruttoinlandsprodukt fiel im vergangenen Quartal um 0,4 Prozent. Dabei hat Hellas bereits Jahre der Rezession hinter sich, Ökonomen hatten mit einem kleinen Aufschwung gerechnet. Regierungschef Alexis Tsipras ist unter Druck: Wäre jetzt Wahl, würde seine Partei Syriza nur noch 17 Prozent der Stimmen erhalten. Nun steht der Linke nicht für Reformen. Doch politische Unsicherheit kann das Land erst recht nicht gebrauchen. Denn wieder mal braucht es Geld. Die Verhandlungen über die nächste Tranche der Rettungsmilliarden ziehen sich hin - und sorgen auch für Streit in Berlin.

Die Union pocht darauf, das Rettungsprogramm nur bei einer Beteiligung des Internationalen Währungsfonds (IWF) fortzuführen. Sollte sich der IWF dagegen entscheiden, sei ein neues Hilfsprogramm nötig, das erneut vom Bundestag gebilligt werden müsse, betont Finanzminister Wolfgang Schäuble. Die SPD plädiert dafür, Griechenland rasch weitere Schuldenerleichterungen zuzusagen und es notfalls ohne Hilfe des IWF zu refinanzieren. Grünen-Außenpolitiker Jürgen Trittin attackiert Merkel und Schäuble. "Sie haben aus Angst vor der AfD ihre eigene Unionsfraktion hinter die Fichte geführt", sagt Trittin. "Sie haben den Unionsabgeordneten gesagt, es werde keinen Schuldenschnitt geben und der IWF bleibe auf jeden Fall dabei. Nun fliegt diese Lüge mitten im Wahlkampf auf: Es führt gar kein Weg daran vorbei, dass die Europäer Griechenland Schulden erlassen." Nur um über die Bundestagswahl zu kommen, riskiere die Union eine Debatte über den Grexit.

Italien Ungelöst ist auch die Krise im drittgrößten Euro-Land. Faule Kredite über 360 Milliarden Euro belasten die Banken. Italien ist chronisch wachstumsschwach, die Staatsverschuldung liegt bei 132,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Wirtschaftsleistung eines Jahres würde nicht reichen, die Schulden zu tilgen. Damit ist Italien nach Griechenland das am stärksten verschuldete Land der Euro-Zone. Zwar wurde nach dem Rücktritt von Premier Matteo Renzi rasch ein Nachfolger gefunden, dennoch droht die Neuwahl, bei der Euro-feindliche Populisten Auftrieb bekommen.

RWI-Experte Döhrn ist überzeugt: "Die Konstruktion der Euro-Zone war von Anfang an politisch: Gemessen am Schuldenstand hätte Italien nie aufgenommen werden dürfen." Im Referenzjahr 1997 hatte das Land einen Schuldenstand von 122 Prozent. Es durfte nur in die Euro-Zone, weil man eine minimale Verbesserung als Weg in die richtige Richtung interpretierte. "Politisch war es eben undenkbar, dass ein Gründungsmitglied der EU nicht beim Euro dabei war", sagte Döhrn. Politik und nicht Wirtschaft diktierte den Aufbau der Euro-Zone. "Die Quittung dafür bekommt Europa heute. Ohne Strukturreformen in Italien und Griechenland bleibt die Euro-Krise."

(mar)
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