"Euro-Skepsis schuld an FDP-Wahlniederlage"

Die stellvertretende Parteichefin und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zur Wahlschlappe in Berlin

1,8 Prozent für die FDP in Berlin – wie fühlt sich das an?

Leutheusser-Schnarrenberger Das ist ein Schock. Daran gibt es überhaupt nichts zu deuteln. Ich habe bereits vor Monaten gesagt, dass die FDP lange brauchen wird, um aus der schweren Krise herauszukommen. Aber: Die Berliner FDP trägt mit ihrem klar europa-skeptischen Kurs auch Verantwortung für dieses Ergebnis.

Es war also ein Fehler, auf eine Anti-Euro-Stimmung zu setzen?

Leutheusser-Schnarrenberger Die FDP-Spitze hat wiederholt deutlich gemacht, dass es keinen neuen Kurs gibt. Die Liberalen sind die Europa-Partei. Es waren FDP-Außenminister, die die Europäische Union und den Euro geschaffen haben. Dieses Erbe setzen wir nicht aufs Spiel.

Ist Philipp Rösler beschädigt?

Leutheusser-Schnarrenberger Nein, die Fehler liegen in der Vergangenheit – wir haben zu viel politisches Kapital im ersten Jahr unserer Regierungsverantwortung verspielt. Jetzt müssen wir gemeinsam und ohne Personaldiskussion Vertrauen zurückgewinnen.

Muss es personelle Konsequenzen geben?

Leutheusser-Schnarrenberger Nein.

Kommt es jetzt mehr auf die Erfahreneren wie Rainer Brüderle und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger an?

Leutheusser-Schnarrenberger Ich halte überhaupt nichts von einem gegeneinander Ausspielen unterschiedlicher Generationen, ob weiblich, ob männlich, ob jünger oder älter – nur zusammen schaffen wir es aus dem schweren Tief.

Braucht die FDP ein anderes Erscheinungsbild?

Leutheusser-Schnarrenberger Je stärker wir Erfolge betonen und unsere klassischen Kompetenzen unterstreichen, desto erfolgreicher werden wir wieder sein. Wir haben die Bürgerrechte gestärkt, Netzsperren abgeschafft, eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze verhindert und die Anti-Terror-Gesetze neu justiert. Die Abschaffung der Wehrpflicht hat gezeigt, dass die FDP der Motor in der schwarz-gelben Koalition ist. Außerdem haben wir mit der überbordenden Subventionspolitik der großen Koalition Schluss gemacht, zum Beispiel bei Opel. Und in der Euro- und Finanzkrise setzen wir auf Instrumente, die morgen noch die Stabilität des Euros sichern.

Wird es schwierig für die Koalition? Sollte die FDP raus, wenn sie sich bei Steuern und Euro nicht durchsetzt?

Leutheusser-Schnarrenberger Ich halte von solchen Spekulationen überhaupt nichts. Die Opposition kritisiert die Regierung. Das ist ihr gutes Recht. Aber nur diese schwarz-gelbe Koalition wird die Herausforderungen von Finanz- und Eurokrise stemmen. Schließlich war es die SPD, die den Euro aufgeweicht hat und die Schuldenkrise in Europa nicht ernst genommen hat.

Muss sich die FDP als Reaktion auf die Wahlniederlagen inhaltlich anders aufstellen?

Leutheusser-Schnarrenberger Wir haben angefangen, die Verengung auf Steuersenkung hinter uns zu lassen. Gerade meine Themen, die Bürgerrechte, prägen heute neben der Wirtschaftspolitik wieder das Erscheinungsbild der FDP. Liberale gestalten den gesellschaftlichen Wandel, zum Beispiel in der Familien- und in der Einwanderungspolitik. Wir setzen uns für die Rechte jedes Einzelnen ein, ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Wir wollen Einwanderung nicht nur rational steuern, sondern Integrationspolitik aktiv gestalten. Außerdem war es die FDP, die den Vorbehalt der Bundesregierung gegen die UN-Kinderrechtskonvention nach 18 Jahren endlich zurückgenommen hat.

Wie geht es weiter bei der Vorratsdatenspeicherung?

Leutheusser-Schnarrenberger Klare Kante und Überzeugen durch Argumente bringen immer Unterstützung. Das sehen Sie alleine an der Tatsache, dass zwei Drittel gegen die Vorratsdatenspeicherung sind. Mein Kompromissvorschlag ist eine gute Verhandlungsgrundlage.

Wie weit sind Ihre weiteren Vorhaben – werden Sie thematisch nachlegen?

Leutheusser-Schnarrenberger Die Rechte der Bürger in der digitalen Welt habe ich umfassend gestärkt, etwa mit dem Button gegen Internetabzocke. Netzsperren in Deutschland gehören endgültig der Vergangenheit an, bald auch – dank der Bundesregierung – in Europa. Eine Regierungskommission stellt die Sicherheitsgesetze der vergangenen zehn Jahre auf den Prüfstand. Der Rechtsschutz wird weiter gestärkt, etwa durch eine Entschädigung für überlange Prozesse und durch mehr mündliche Verhandlungen. Die über 30 Gesetzesvorhaben zur Halbzeit belegen den Ehrgeiz der FDP in der Rechtspolitik.

Gregor Mayntz stellte die Fragen.

(RP)
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