Analyse Europa-Armee fasst Tritt

Stadtallendorf · Die Weltlage und der Spardruck machen eine Vision wahr: Die Bundeswehr ist Vorreiter bei einer europäischen Armee. Deutsche und Niederländer bilden als Erste gemeinsame Kampfverbände. Eine Kooperation mit Polen folgt.

Die Bundeswehr wird bald durch 29 leistungsfähige "Apache"-Kampfhubschrauber verstärkt. Möglich machen es die Niederlande. Seit fünf Monaten gehört die 11. Luchtmobiele Brigade (Luftbewegliche Brigade) fest zur deutschen Division Schnelle Kräfte (DSK) im hessischen Stadtallendorf - das gab es noch nie in der Geschichte der zwei Nachbarländer. "Es ist für beide Seiten ein großer Gewinn", sagt der DSK-Kommandeur, Brigadegeneral Eberhard Zorn (54). Und er hat ein großes Ziel: Bis 2018 soll ein schlagkräftiger luftbeweglicher Gefechtsverband einsatzbereit sein, der neben den "Apaches" und "Chinook"-Transporthubschraubern auch deutsche "Tiger"- und NH-90-Helikopter umfassen wird.

Die Forderung nach einer Europa-Armee gab es, angestoßen durch Großbritannien und Frankreich, bereits wenige Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Doch nationale Vorbehalte ließen alle Pläne scheitern. Die beunruhigende Weltlage und der Spardruck, unter dem die Nato-Staaten stehen, lassen die DSK nun zum Vorbild für weitere europäische Projekte werden. Auch die 1. deutsche Panzerdivision in Niedersachsen wird demnächst durch Niederländer fest verstärkt: die 43. Mechanisierte Brigade in Havelte. Deutsche Soldaten sollen der polnischen Armee unterstellt werden, Bundeswehr-Gebirgsjäger verstärkt mit österreichischen Kameraden zusammenarbeiten. Das Heer denkt darüber hinaus an ein internationales Ausbildungszentrum für den NH 90 in der Lüneburger Heide. Die europäische Armee, als Utopie belächelt, wird mehr und mehr Realität.

Ein Niederländer aus Roermond, Jack van Maaswaal (54), ist stellvertretender Kommandeur des Bundeswehr-Großverbandes DSK. "Amtssprache" im Stab in Stadtallendorf sei Deutsch, berichtet Zorn. Auf Truppenebene erfolge die Verständigung in Englisch. Diese neue enge Zusammenarbeit sei "außerordentlich effizient". So trainieren die Niederländer seit Jahren mit der US-Army und üben häufig im texanischen Fort Hood. "Das bietet uns eine transatlantische Brücke - die Chance, auch in dieser Richtung enger zu kooperieren", stellt General Zorn fest

Der neue Kampfverband vereinigt die Fallschirmjäger beider Länder und die Heeresflieger der Bundeswehr. Auch das geheimnisumwitterte Kommando Spezialkräfte in Calw gehört zu der neuen Division, deren Aufträge aus dem Drehbuch eines Hollywood-Films stammen könnten: Geiselbefreiungen, Evakuierungsoperationen, Kampf gegen irreguläre Kräfte, Erkundungskommandos zur Vorbereitung neuer Auslandseinsätze - die militärische Antwort der beiden Nato-Staaten auf internationale Krisen und Notfälle aller Art.

Im kommenden Jahr übernimmt die DSK außerdem den Such- und Rettungsdienst (SAR = Search and Rescue) in Deutschland und ergänzt mit ihren Hubschraubern die zivilen Partner unter anderem bei schweren Verkehrsunfällen. Dazu wechselt die Leitstelle, zurzeit in Münster, ebenfalls in die "Herrenwald"-Kaserne nach Stadtallendorf.

Die DSK umfasst 11 600 Soldaten, davon 2100 niederländische. Sie bleiben an ihrem Standort Schaarsbergen bei Arnheim stationiert, arbeiten aber mit der Bundeswehr auf allen Gebieten von der Ausbildung bis zu Einsätzen eng zusammen. Zorn: "Es herrscht völlige Offenheit. Wenn ich zur Dienstaufsicht in die Niederlande komme, so ist das inzwischen genau so normal wie van Maaswaals Besuch in Lebach oder Zweibrücken, wo unsere Fallschirmjäger stationiert sind. Wir spüren jetzt schon, dass dieses Konstrukt sehr interessant ist für andere Nationen. Ich kann mir gut vorstellen, dass der luftbewegliche Verband demnächst auch aus belgischen Kameraden bestehen wird. Interesse haben sie bereits bekundet." In der Ausbildung der Fallschirmjäger gebe es bereits eine lange Zusammenarbeit unter anderem mit Frankreich.

Die Rüstungsprobleme, die zurzeit das Bild der Bundeswehr in der Öffentlichkeit bestimmen, sind für Zorn kein zentrales Thema: "Im Mittelpunkt stehen unsere Soldatinnen und Soldaten. Einsatzbereitschaft ist doch mehr als funktionierende Hubschrauber." Die Bewerberlage sei hervorragend: "Fallschirmjäger oder Piloten, das wollen viele werden. Wir haben genug Personal - qualitativ wie quantitativ." Auch die Kritik an den neuen "Tigern" und NH 90 teilt Zorn nicht: In der Einführungsphase gebe es natürlich noch Probleme. "Aber wenn die Maschinen fliegen, dann sind das Super-Hubschrauber."

Flugzeuge kann der General beim EATC, dem europäischen Lufttransportkommando im niederländischen Eindhoven, abrufen, das im vergangenen Jahr seine volle Einsatzbereitschaft erreicht hat und nationale Engpässe wie bei der betagten "Transall" ausgleicht. Das EATC steuert eine Flotte von insgesamt 182 Transportflugzeugen der französischen, niederländischen, belgischen, spanischen und deutschen Luftwaffe - ebenfalls ein effektives Kooperationsmodell. So ist es mittlerweile üblich, dass deutsche Fallschirmjäger auch aus französischen "Casa" oder belgischen "Hercules" springen.

Neuerdings wird diese Form der Zusammenarbeit sogar transatlantisch, weil alle Bündnisstaaten ähnliche Geldprobleme haben, selbst der mächtigste Nato-Partner USA. 2013 war die Fregatte "Hamburg" für ein halbes Jahr fest einer US-Flugzeugträgerkampfgruppe unterstellt und übernahm deren Flugabwehr. Anfang August sorgte der gebürtige Aachener Markus Laubenthal (51) für eine kleine Revolution, als er zum Chef des Stabes im Hauptquartier der US-Landstreitkräfte in Wiesbaden ernannt wurde: Erstmals seit Friedrich Wilhelm von Steuben (1730-1794), George Washingtons Stabschef im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, übernahm wieder ein deutscher Offizier eine hohe Führungsaufgabe in den US-Streitkräften - offenbar ein weiteres Zukunftsmodell.

(RP)
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