Athen/Berlin Europa beschwört die Griechen

Athen/Berlin · Die Volksabstimmung über die Reformen läuft auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hinaus. Premier Tsipras wirbt erneut für ein Nein. Die Bundesregierung vermeidet Ratschläge. Bargeld wird in Hellas immer knapper.

Gespannt schaut die Welt auf das Referendum, mit dem die Griechen morgen über die Reformpläne abstimmen sollen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte die Griechen vor einem Nein. Denn dann würde sich die Lage Griechenlands dramatisch verschlechtern. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem erklärte das Referendum zur Schicksalswahl. Ein Nein stelle die Mitgliedschaft Griechenlands in der Euro-Zone infrage. Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz warb für ein Ja. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras rief seine Landsleute in einer TV-Ansprache erneut auf, mit Nein zu stimmen.

Derzeit sieht es nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen der Reform-Gegner und -Befürworter aus. Laut einer Umfrage der Zeitung "Avgi" wollen 43 Prozent der Griechen mit Nein stimmen, 42,5 Prozent mit Ja. Rund neun Prozent der Befragten sind noch unentschlossen. Andere Umfragen sehen dagegen die Ja-Stimmen knapp vorn.

Die Bundesregierung vermied einen öffentlichen Rat. Vizekanzler Sigmar Gabriel hatte jüngst erklärt, dass es beim Referendum letztlich um die Frage "Ja oder nein zur Eurozone" gehe. Kanzlerin Angela Merkel verwies diese Woche im Bundestag darauf, dass sie die Abstimmung für legitim halte. Zugleich betonte sie, dass die Partner Athens auch das Recht hätten, die Wünsche der Griechen abzulehnen.

Unionsfraktionschef Volker Kauder nannte das Referendum in einem Gastbeitrag für unsere Zeitung einen "weiteren Schlag ins Gesicht der Gläubigerstaaten", die Griechenland mit Hunderten von Milliarden über Wasser gehalten hätten. Die griechische Regierung wolle "ein anderes Europa, ein Europa unbegrenzter und bedingungsloser Transferzahlungen", so Kauder.

Tsipras hatte vor einer Woche die Verhandlungen mit den Geldgebern platzen lassen. Er hatte ein großzügiges Angebot (teilweiser Schuldenerlass, Verlängerung des am Dienstag ausgelaufenen Hilfsprogramms, Investitions-Hilfen) ausgeschlagen, weil die Geldgeber im Gegenzug Reformen fordern. Er übertrug die Entscheidung dem Volk. Zwei Griechen klagten gegen das Referendum, weil die Zeit zu kurz und die Stimmzettel zu kompliziert seien - vergeblich: Das höchste Verwaltungsgericht des Landes, lehnte die Klage ab.

Griechenland ist seit einer Woche im Ausnahmezustand. Die Banken sind geschlossen. An den Bankautomaten, die ohnehin nur noch 60 Euro pro Tag und Kunde auszahlen, wird das Geld immer knapper. In den Geschäften kommt es immer öfter zu Hamsterkäufen. Athen vermeidet noch eine offizielle Staatspleite. So zahlte die Regierung gestern 3,8 Millionen Euro an Zinsen für eine von Privatinvestoren gehaltene Staatsanleihe zurück. Die Rating-Agenturen wollen Griechenland erst dann pleite nennen, wenn es privaten Gläubigern etwas schuldig bleibt. Zuvor hatte Athen fällige Raten an zwei öffentliche Gläubiger, den Internationalen Währungsfonds und den Euro-Rettungsfonds, nicht gezahlt.

Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erwartet, dass die Griechen nach dem Referendum länger auf Hilfen warten müssen. Verhandlungen müssten nach Auslaufen des Hilfsprogramms "unter erschwerten wirtschaftlichen Voraussetzungen stattfinden", sagte er. Auch der Bundestag müsste noch grünes Licht geben. Unterdessen reiste die Spitze der Linkspartei gestern nach Athen. Obwohl Tsipras mit einer rechtspopulistischen Partei koaliert, erhält seine Regierung von den deutschen Linken Unterstützung.

(qua)
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