Berlin/Brüssel Europa und IWF ringen um Griechen-Hilfe

Berlin/Brüssel · Die Bundeskanzlerin möchte den Internationalen Währungsfonds bei Athens Rettung unbedingt mit an Bord behalten, doch IWF-Chefin Lagarde zögert: Sie darf Griechenland nicht stärker entgegenkommen als anderen Mitgliedsländern.

Sprachgewandt, diplomatisch geschickt, durchsetzungsfähig und elegant - Christine Lagarde hat als Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) viele überzeugt. Diese hohe internationale Reputation will die Französin jetzt nicht wegen eines kleinen Euro-Mitglieds gefährden. Ohnehin sei sie gegenüber Griechenland schon viel zu nachgiebig gewesen, kritisieren ärmere der 188 IWF-Mitgliedsstaaten außerhalb Europas, etwa in Lateinamerika, Asien oder Afrika. Auch für Lagarde, die neben Angela Merkel gerade vom US-Magazin "Forbes" zu einer der mächtigsten Frauen der Welt gekürt wurde, steht im Griechenland-Poker enorm viel auf dem Spiel.

Bisher noch hielten Lagarde und ihr Fonds zu den Europäern: Der IWF ist Teil der Troika, die die Hilfsprogramme für Griechenland abwickelt, überprüft und auch finanziert. Doch ein halbes Jahr nach dem Regierungswechsel in Griechenland wachsen nun die Spannungen zwischen den EU-Institutionen und dem IWF. Während EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker immer wieder versucht, der widerspenstigen Regierung in Athen durch Kompromissangebote Brücken zu bauen, gehen dem IWF Junckers Avancen offenbar zu weit.

Am Donnerstag letzter Woche kam es dann zum Knall. Lagarde rief das Verhandlungsteam des IWF zurück nach Washington. Ihr Kommunikationsdirektor begründete die Abreise der IWF-Unterhändler so: "Es gibt große Unterschiede zwischen uns in den meisten Schlüsselbereichen. Es hat in letzter Zeit keinen Fortschritt gegeben, um diese Unterschiede zu verringern."

Fast alle in Europa sahen die Vorwürfe aus Washington gegen die renitente griechische Regierung gerichtet, die im Reformpoker nicht einlenken wollte. Dass sich die "großen Unterschiede" auch innerhalb der Geldgeber-Institutionen auftun, geriet dabei in den Hintergrund.

So soll Lagarde beim Spitzen-Geheimtreffen am 1. Juni im Berliner Kanzleramt zunächst mündlich eingewilligt haben, zur Not auch einen geringeren griechischen Haushaltsüberschuss von nur 0,8 Prozent des Gesamtbudgets (ohne Zinsausgaben) im laufenden Jahr zu akzeptieren, falls die Verhandlungen am Ende nur noch an diesem Punkt zu scheitern drohten. Am nächsten Tag soll sie diese Zusage nach Rücksprache mit ihren IWF-Experten aber in einem Telefonat gegenüber Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wieder kassiert haben, berichtete die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (FAS).

Merkel hätte den geringeren Haushaltsüberschuss, auf den der griechische Premier Alexis Tsipras in den Verhandlungen bisher beharrlich bestanden hatte, dagegen wohl hingenommen. Nun, so ist aus Brüssel zu hören, wird sich Tsipras aber der IWF-Vorgabe beugen, im laufenden Jahr einen Etatüberschuss von 1,0 Prozent zu erreichen.

Auch an anderer Stelle sollen Differenzen offen zutage getreten sein. So habe Juncker im Einvernehmen mit Merkel dem griechischen Premier angeboten, wenn dieser bei den ärmeren Rentnern nicht durch Kürzungen 400 Millionen Euro einsparen wolle, dann müsse er das eben an anderer Stelle tun, etwa bei den viel zu hohen Militärausgaben. Doch diesem Tauschgeschäft soll wiederum der IWF nicht zugestimmt haben, berichtete die FAS.

Der IWF dementierte das ebenso wie das angebliche Veto Lagardes zum geringeren Etatüberschuss. "Wir haben wiederholt gesagt, dass wir bei den Modalitäten des Programms flexibel bleiben, wenn die vorgeschlagenen wirtschaftlichen Maßnahmen voll finanziert sind", sagte IWF-Sprecher Gerry Rice. "Wir haben auch gesagt, dass Grundrenten für die verletzlichsten Bürger gesichert werden müssen."

Als unbarmherzig gegenüber den ärmsten Rentnern will die frühere französische Finanzministerin Lagarde auch nicht gelten. Dennoch muss sich der IWF an seine Regeln halten: Er darf Kredite zur Abwendung einer Staatspleite nur geben, wenn das Empfängerland im Gegenzug solche Wirtschaftsreformen umsetzt, die es befähigen, in einem vernünftigen Zeitraum wieder auf eigenen Beinen zu stehen.

Bleibt die Frage, wie lange der IWF noch dem Wunsch Merkels folgt, Griechenland zu helfen. Die bisher vereinbarten IWF-Kredite laufen bis Ende März 2016 - was danach passiert, ist offen. Würde der IWF aussteigen, müssten die Europäer mehr eigenes Geld in die Hand nehmen - oder gegenüber dem IWF für Athen Kreditgarantien abgeben.

In Brüssel ist es ein offenes Geheimnis, dass die EU-Kommission und die Europäische Zentralbank (EZB) den IWF am liebsten schon losgeworden wären. Doch Merkel will ihn unbedingt an Bord halten, denn ohne ihn wäre ein positiver Bundestagsbeschluss nicht denkbar. Merkel ist also von Lagarde abhängig. Die IWF-Chefin ist vielleicht doch die mächtigere der beiden.

(mar)
Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort