Accra Europas Elektro-Schrott landet in Ghana

Accra · Deutsche Entwicklungshelfer wollen sich jetzt an einem der giftigsten Orte der Welt um die Opfer des Wohlstandsmülls kümmern.

Mit einer langen Eisenstange drischt Ahmed auf die gelb und grün züngelnden Flammen ein. Gleißende Funken sprühen, beißender Rauch steigt auf. Ahmeds Augen tränen. Als das giftige Feuer erloschen ist, bleibt vom Kabelknäuel nur ein verkohlter Klumpen über. Ahmed wird dafür von einem Kupferhändler vielleicht zwei Cedi, umgerechnet rund 40 Cent, bekommen. Kurzfristig wird der 15-Jährige davon überleben können, langfristig wird ihn die Arbeit in Agbogbloshie, der größten Elektroschrott-Müllkippe Afrikas, wahrscheinlich umbringen.

Doch das wird in den reichen Ländern, aus denen die ausrangierten Geräte kommen, niemand mitbekommen. Weil Konsumenten in der ersten Welt immer mehr Elektrogeräte haben wollen, arbeiten auf der Müllhalde in der ghanaischen Hauptstadt Accra Tausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene unter katastrophalen Bedingungen. Deutsche Entwicklungshelfer wollen jetzt dafür sorgen, dass einer der giftigsten Orte der Welt wenigstens etwas weniger tödlich wird.

Das Hämmern im Kopf, das Brennen in den Augen, das Kratzen im Hals, das Ziehen in der Brust: Ahmed weiß nicht, was am meisten wehtut. Aber er weiß, wo es herkommt. Vom schwarzen Qualm, der über die mehr als drei Quadratkilometer große Müllkippe wabert. Auf einem knirschenden Teppich aus dem zerborstenen Glas alter Monitore türmen sich hier die Insignien westlichen Wohlstands. Ausrangierte Fernseher, Computer, DVD-Player, Küchengeräte und Telefone. Philips, Sony, Nokia, Dell, Canon, Apple und die deutsche Billigmarke Medion - alle sind sie hier gelandet. Ahmed weiß nicht, wie man einen Laptop hochfährt oder sich in einer Mikrowelle eine Suppe warm macht. Aber er weiß, wie man die Dinger mit einem Stein, einer Stange oder einfach mit Hilfe der Schwerkraft kaputt machen und mit Isolierschaum aus Kühlschränken abfackeln kann.

Auf dem Schrottplatz weisen überall Plakate darauf hin, dass die gefährliche Arbeit nur mit Handschuhen, festen Schuhen und Augen- und Atemschutz verrichtet werden soll, doch all das können sich die "Burner" - die Abfackler - nicht leisten. Sie stehen in der Hierarchie des Mikrokosmos' Müllkippe fast ganz unten, verdienen pro Tag umgerechnet rund zwei Euro.

Nach Schätzungen der Uno fallen weltweit jedes Jahr zwischen 20 und 50 Millionen Tonnen Elektroschrott an. In Deutschland sollen es rund 16 Kilo pro Jahr und Einwohner sein. Alle Industrieländer außer den USA haben die Basler Konvention ratifiziert. Das Abkommen soll sicherstellen, dass Elektroschrott nur in Länder gebracht wird, in denen er umweltverträglich recycelt werden kann. Seit dem 1. Januar 2016 müssen die Exporteure in der EU nachweisen, dass die Geräte bei der Ausfuhr noch funktionieren. Doch es werden nur wenige Stichproben gemacht. Entsprechend oft wird Schrott unter die Second-Hand-Ware gemischt. In Deutschland sind Händler zudem verpflichtet, alte Geräte zurücknehmen. Doch Experten gehen davon aus, dass dennoch bis zu zwei Drittel des weltweit anfallenden Elektroschrotts in Entwicklungsländern landen, wo der Müll nicht vernünftig wiederverwertet wird.

Auch in Tema, dem wichtigsten Hafen Ghanas, kommen fast täglich Container voller Elektrogeräte an. Nach Schätzungen der ghanaischen Umweltbehörde ist rund 15 Prozent der als Gebrauchtware deklarierten Ladung nichts anderes als Elektroschrott. Und auch die bei ihrer Ankunft noch funktionstüchtigen Geräte geben früher oder später den Geist auf und landen oft auf der Müllkippe Agbogbloshie, die von vielen Ghanaern nur "Sodom und Gomorra" genannt wird. Ein Fluss wälzt sich träge durch die Halde. Das Wasser ist schwarz und ohne Leben. Dort, wo einst Flamingos nach Nahrung suchten, treibt jetzt Müll. Am "Boola Beach", dem "Müllstrand", fließt die stinkende Brühe ungeklärt in den Atlantik.

Wie die meisten Jugendlichen, die in Agbogbloshie arbeiten, scheint Ahmed von den giftigen Dämpfen benebelt zu sein. Die Hände, Arme und Beine des "Burners" sind mit Brand- und Schnittwunden überzogen, doch die unsichtbaren Schäden sind oft schlimmer. Die Umweltschutzorganisation Pure Earth untersuchte 2013 Erd-, Luft- und Wasserproben aus Agbogbloshie. Danach erklärten sie die Halde zu einem der zehn am stärksten verseuchtesten Orte der Welt.

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) und Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) besuchten die Müllkippe vor knapp zwei Jahren, waren schockiert - und beschlossen zu handeln. Bis 2018 wollen das Bundesentwicklungsministerium und das Land Nordrhein-Westfalen mehr als 600.000 Euro zur Verfügung stellen. Damit soll unter anderem eine Gesundheitsstation gebaut werden. Hier sollen Arbeiter behandelt und darüber aufgeklärt werden, wie sie sich besser schützen können. "Jeden Tag verletzen sich hier Menschen. Aber die meisten werden nicht versorgt, weil sie sich einen Arztbesuch einfach nicht leisten können", sagt Mohammed Adam Mohammed von der Vereinigung der Schrotthändler.

Eigentlich ist die Krankenstation ja nur ein Rumdoktern an den Symptomen. Doch für Michael Funcke-Bartz von der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist sie auch eine vertrauensbildende Maßnahme. Denn langfristig will die GIZ die Arbeitsbedingungen auf der Müllkippe verbessern und die katastrophalen Auswirkungen auf die Umwelt minimieren. "Doch das geht nur mit den Schrottarbeitern. Wir müssen klarmachen, dass wir ihnen nicht die Jobs wegnehmen, sondern ihnen helfen wollen, eine sichere, bessere und gesündere Arbeit zu finden", sagt Funcke-Bartz. Da ist wohl noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Ahmed weiß zwar, dass seine Arbeit gefährlich ist. Noch gefährlicher findet er jedoch die Vorstellung, dass deutsche Entwicklungshilfe seinen Job vielleicht bald überflüssig machen könnte. "Wovon soll ich leben, wenn hier bald keine Burner mehr gebraucht werden", fragt der Junge, der nur wenige Jahre zur Schule gegangen ist.

(RP)
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