Düsseldorf Europas Grenzschutz rüstet auf

Düsseldorf · Mehr Macht, mehr Einfluss, mehr Personal - die europäische Grenzschutzbehörde Frontex startet selbstbewusst in eine neue Ära. Kritiker jedoch fürchten einen dominanten Apparat, der Europa zur Festung macht.

Düsseldorf: Europas Grenzschutz rüstet auf
Foto: Schnettler

Eines der größten Prestigeprojekte der EU wurde vor eineinhalb Wochen in einem 1000-Seelen-Dörfchen präsentiert. Im bulgarischen Kapitan Andreewo an der türkischen Grenze schwärmte EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos von einem "historischen Moment". Avramopoulos meinte den Startschuss der neuen europäischen Grenzschutzbehörde. Die alte hieß kurz Frontex. Die neue kommt mit dem sperrigeren Namen Europäischer Grenz- und Küstenschutz daher. Weil man sich jedoch keine neue Corporate Identity verpassen möchte, wird Frontex auch künftig Frontex heißen.

In seiner ersten Rede zur Lage der Nation vor einem Jahr sprach sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker dafür aus, die Behörde zu einem "operationellen Grenz- und Küstenwachsystem" auszubauen. Ausgestattet mit neuen EU-Mandaten soll Frontex nun noch mehr zur Sicherheit an den EU-Außengrenzen beitragen. Das Budget steigt von 238 auf 322 Millionen Euro. Die Zahl der Mitarbeiter im Hauptquartier in Warschau wird bis 2020 auf mehr als 1000 verdoppelt. Hinzu kommt ab Dezember eine stehende Reserve von mindestens 1500 Grenzschützern aus den Mitgliedstaaten, die bei Krisenfällen binnen fünf Tagen an Brennpunkte an der Außengrenze geschickt werden können. Darunter sind 225 deutsche Polizisten. Frontex selbst besitzt keine eigenen Einsatzkräfte. Zusammen mit den Mitgliedstaaten baut die Behörde zudem einen Pool auf, in dem Material für Einsätze zum Abruf bereitsteht. Bei Gefahr für das normale Funktionieren des Schengenraums kann die EU-Kommission jetzt auf Basis von Frontex-Informationen empfehlen, notfalls gegen den Willen eines Mitgliedstaates einzugreifen. Das letzte Wort hat allerdings der EU-Rat.

Abschiebeflüge kann Frontex nun auch auf eigene Initiative organisieren. "Schon in der Vergangenheit hat Frontex die Mitgliedstaaten bei der Rückführung von Personen, denen keine Aufenthaltsberechtigung zukommt, unterstützt", sagt der stellvertretende Frontex-Chef Berndt Körner. "Dank der Aufstockung können wir dieser Aufgabe verstärkt nachkommen. Bis Ende des Jahres rechnen wir mit rund 200 Rückführungs-Flügen, die wir für Mitgliedstaaten organisiert haben werden."

Seine Behörde will sich künftig neben den Hotspots Griechenland und Italien auch um weniger in der Öffentlichkeit bekannte Brennpunkte kümmern: etwa um Bulgarien. Dort sollen die Grenzzäune höher, länger und (durch Frontex) besser bewacht werden. Die illegalen Übertritte über die sogenannte grüne Grenze sollen unterbunden werden. Seit Jahresbeginn wurden in Bulgarien gut 13.000 Flüchtlinge registriert, über die Hälfte ist auf der Balkanroute weitergezogen.

"Unsere EU-Außengrenzen sind nur so stark wie unser schwächster Punkt", sagte Frontex-Chef Fabrice Leggerie in Brüssel. Die EU-Staaten werden daher künftig regelmäßig einem Stresstest unterzogen, der aufzeigen soll, wo es bei der Unterbringung von Flüchtlingen, aber auch beim Grenzschutz hapert. Deutschland, Finnland und Slowenien machen den Anfang.

Mit all den neuen Befugnissen vor Augen werde Frontex zu mächtig, argumentieren jetzt aber Kritiker der Behörde - etwa die Grünen im EU-Parlament. Europa werde nicht abgesichert, sondern abgeschottet, und die Mitgliedstaaten müssten Folge leisten. "Wenn sich ein Mitgliedstaat weigern würde, einen Frontex-Einsatz an der Land-, See- oder Luftgrenze umzusetzen, dann könnte in letzter Konsequenz dieses Land aus dem Schengenraum geschmissen werden", klagt die Grünen-Europaabgeordnete Ska Keller. Berndt Körner hält dagegen: "Wenn ein Staat sich Maßnahmen verweigert, können beispielsweise Grenzkontrollen wieder eingeführt werden, aber mit Sicherheit wird der Staat nicht aus dem Schengenraum geschmissen."

Keller fürchtet zudem, mehr Macht für Frontex bedeute weniger Schutz für Menschenrechte. Das gelte vor allem für Abschiebungen und Kooperationen mit Drittstaaten. Derlei Anschuldigung sind für Frontex nicht neu. Menschenrechtsorganisationen kritisieren die Behörde wegen militärischer Abwehrmaßnahmen im Mittelmeer. So musste der damalige Frontex-Chef Ilkka Laitinen im Oktober 2013 zugeben, dass jährlich mehrmals Flüchtlingsboote von Frontex-Mitarbeitern abgedrängt und Flüchtlinge unter Androhung von Gewalt ohne Asylprüfungsverfahren abgeschoben wurden. Diese Praxis, die als "Push-back" bekannt ist, verletzt geltendes Recht, urteilte 2012 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.

(jaco)
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