Jerusalem Europas schwieriges Verhältnis zu Israel

Jerusalem · Eine Rede von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz vor der Knesset sorgt für einen Eklat. Seit Monaten wachsen die Spannungen zwischen Israel und der EU – vor allem wegen der Siedlungspolitik. Die Israelis fürchten einen Boykott.

Der ungelöste Nahost-Konflikt, vor allem aber die israelische Siedlungspolitik in den besetzten Gebieten vergiften nicht erst seit gestern die Beziehungen des jüdischen Staats zur EU. Gestern kam es in der Knesset dann zum Eklat: Eine auf Deutsch gehaltene Rede des Präsidenten des EU-Parlaments, Martin Schulz (SPD), löste im Parlament in Jerusalem Tumulte und Beschimpfungen aus. Parlamentarier der rechten Siedlerpartei von Wirtschaftsminister Naftali Bennett riefen "Schande", bezichtigten Schulz der Lüge und verließen unter Protest den Saal. Regierungschef Benjamin Netanjahu warf Schulz eine einseitige Sicht auf den Nahost-Konflikt vor. Schulz verharmlose die Bedrohungen, denen Israel ausgesetzt sei, und erliege "wie so viele Europäer einer selektiven Wahrnehmung".

Schulz hatte in seiner Rede gesagt, ein junger Palästinenser habe ihm erzählt, Israelis hätten im Westjordanland einen etwa viermal höheren Anspruch auf Trinkwasser als Palästinenser. Ob das stimme, fragte der EU-Politiker und warnte davor, dass Israels Blockade des Gaza-Streifens dort Extremisten in die Hände spielen könne, was wiederum eine Gefährdung der Sicherheit Israels zur Folge haben könne. "Ich fordere den Präsidenten des Europäischen Parlaments auf, sich von seinen beiden lügnerischen Äußerungen zu distanzieren. Ich akzeptiere keine Lügen von einem Deutschen", sagte Bennett empört. Seine scharfe Reaktion war nicht allein auf Deutschland gemünzt; sie zeigt, wie angespannt die Beziehungen des jüdischen Staats zur gesamten EU inzwischen sind. Kritik an Schulz' Auftritt vor der Knesset kommt auch von der Union: "Ich finde, dass deutsche Vertreter Israel nicht bei jeder Gelegenheit belehren sollten", sagte Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, unserer Zeitung.

Erst vor einer Woche hatte Israels ökonomische Elite in der israelischen Zeitung "Yedioth Ahronoth" öffentlich an Premier Netanjahu appelliert, er solle endlich ein Friedensabkommen mit den Palästinensern schließen. Motiviert wurde die spektakuläre Aktion von der in Israel um sich greifenden Sorge vor einem europäischen Wirtschaftsboykott, sollten die laufenden Friedensgespräche einmal mehr ergebnislos im Sande verlaufen. Zwar sollen in diesem Fall auch die Palästinenser abgestraft werden, aber in Israel macht man sich keine Illusionen darüber, wen das EU-Strafgericht in erster Linie treffen würde.

In Jerusalem befürchtet man sogar, die EU könnte das für die israelische Wirtschaft extrem wichtige Assoziierungsabkommen kündigen, das israelischen Firmen privilegierten Zugang zum europäischen Markt verschafft. Die EU ist mit Abstand wichtigster Handelspartner Israels; Zehntausende Jobs und Exporterlöse von mehreren Milliarden Euro stehen auf dem Spiel. "Wenn es kein Friedensabkommen gibt, steht die israelische Wirtschaft vor einem dramatischen Einbruch", warnte Finanzminister Jair Lapid. Schon werden die Auswirkungen möglicher EU-Strafmaßnahmen mit einem erneuten Palästinenseraufstand, einer dritten Intifada verglichen.

Dass die europäischen Drohungen ernst zu nehmen sind, haben die Israelis bereits zu spüren bekommen. So hat der größte Rentenfonds der Niederlande seine beträchtlichen Investments in Israels Bankensektor gekippt, weil die betroffenen Finanzinstitute Filialen in den besetzten Palästinensergebieten betreiben und dort Bauvorhaben finanzieren. Die Danske Bank, Branchenprimus in Dänemark, entschloss sich kürzlich zum Boykott einer israelischen Partnerbank – aus "ethischen und rechtlichen Gründen". Israelische Wissenschaftler klagen, in Großbritannien wollten Kollegen aus Protest gegen den Siedlungsbau nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten.

Der nächste Schritt deutet sich schon an. So wird auf EU-Ebene derzeit eine Kennzeichnungspflicht für Produkte aus israelischen Siedlungen diskutiert. Es wäre, auch wenn das offiziell in Brüssel verneint wird, eine Einladung zum Boykott. Bedroht davon wären auch die Jobs Tausender Palästinenser, die in israelischen Betrieben angestellt sind.

(RP)
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