Berlin FDP sucht mit Lindner den Neuanfang
Berlin · Der neue FDP-Chef Christian Lindner will die Partei gesellschaftlich öffnen. Die euro-kritische AfD sieht er als Gegner.
Ein FDP-Mann hatte in seinem Wortbeitrag das "Schicki-micki"-Image der Partei scharf kritisiert. Da passte es gut, dass sich die mehr als 600 Delegierten zu ihrem Sonderparteitag nach der Niederlage bei der Bundestagswahl in einer bescheidenen Halle im Berliner Süden trafen. Zwischen rostigen Stahlträgern, unverputzten Wänden und vom Donnern der vorbeifahrenden U-Bahn begleitet, rief die FDP den Neustart in der außerparlamentarischen Opposition aus.
Neu erfinden will der neue Chef Christian Lindner die Partei aber nicht. Der 34-jährige Fraktionschef im NRW-Landtag, der im Dezember 2011 als Generalsekretär das Handtuch geworfen hatte, empfiehlt seiner Partei in seiner Rede Lernfähigkeit und Mut. Den Ton will er ändern, nicht das Programm. Und "liefern" will er in Anspielung an das Wort des glücklos agierenden Vorgängers Philipp Rösler erst bei der Bundestagswahl 2017. Lindner schlägt leise Töne an, tritt vorsichtiger auf. Er weiß, dass die Geduld der Mitglieder zuletzt bis zum Äußersten strapaziert wurde. Der Frust über die Führung in Berlin ist groß.
Die Basis findet am Rande des Parteitags offene Worte. Von "Arroganz" und "Kälte" ist die Rede, von der "Macho-Partei". Der neue Vorsitzende der Jungliberalen, Alexander Hahn, übt harsche Kritik an der Zweitstimmenkampagne kurz vor der Bundestagswahl. "Wer die FDP will, muss die FDP und nicht Angela Merkel wählen", sagte er aufgebracht.
Der frühere FDP-Fraktionschef und Ex-Spitzenkandidat Rainer Brüderle hatte die Leihstimmenkampagne schon zuvor selbstkritisch als Fehler bezeichnet. Auch der scheidende FDP-Chef Rösler nahm einen Teil der Schuld für die Niederlage auf sich: "Das tut mir am meisten weh. Das können sie mir glauben. Dass ich Ihre Erwartungen nicht erfüllen konnte, die auch meine Erwartungen gewesen sind", sagte er in seiner Abschlussrede. Aber auch den mangelnden Rückhalt in der Parteiführung, zu der ja auch Lindner gehörte, thematisierte Rösler. Doch der neue Parteichef schaute lieber nach vorne. Lindner knüpft an unterbrochene Traditionen der Liberalen an, von der sozialen Marktwirtschaft bis zur aktuellen Schuldenbremse. "Die FDP hat ein Recht auf ihre liberalen Grundwerte", sagte er. Den radikalen Abgrenzungskurs zu SPD, Grünen und Union, den Wirtschaftsliberale wie der Sachse Volker Zastrow forderten, lehnt er ab. "Machete statt Florett", müsste in der außerparlamentarischen Opposition gelten, hatten diese ihm geraten.
Lindner kontert, man brauche beides. Dem Image der sozialen Kälte will er entgegentreten, indem er die FDP als "optimistischste und menschenfreundlichste Partei" verortet. Auf die Frage, worum es im Zweifel geht, würde die SPD mit Gerechtigkeit und Grüne mit Ökologie antworten. Liberale müssten antworten: "Es geht um Dich, um Dein Recht, im Hier und Jetzt glücklich zu werden." In der großen Koalition sieht Lindner eine "Herrschaft der Sozialingenieure". Lindner will die FDP für neue Bündnisse abseits der Union öffnen.
Mit der euro-kritischen Alternative für Deutschland (AfD) will Lindner nicht gemeinsame Sache machen. "Wir dürfen es nicht Europas Gegnern überlassen, an Europas Defiziten zu arbeiten." Zu dieser Strategie gehörte auch die Berufung der Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Lindners Wunschkandidatin gewann gegen den Euro-Kritiker Frank Schäffler den Platz im Präsidium. Rückenwind, den Lindner gebrauchen kann. Er selbst wurde nur mit knapp 80 Prozent gewählt. Die Basis ist offenbar noch skeptisch.