Kolumne Gesellschaftskunde Ferien sind eine gute Zeit zum Märchenlesen

Manche Eltern halten Märchen für überkommen und unnütz. Dabei sind sie unangestrengt lehrreich – und gerade darum so wirkungsvoll.

Manche Eltern halten Märchen für überkommen und unnütz. Dabei sind sie unangestrengt lehrreich — und gerade darum so wirkungsvoll.

Weil heute niemand mehr Zeit zu verlieren hat, am wenigsten die Kinder, schenkt man dem Nachwuchs am liebsten "nützliche" Dinge. Bücher oder Computerspiele zum Beispiel, die lehrreich sind, weil sie entlang irgendeiner spannenden Handlung Wissen über Technik, Historie, Natur oder sonst einen potenziellen Schulstoff vermitteln. Das Kind soll sich vergnügen, ohne zu merken, dass ihm auch noch Lehrreiches gereicht wird - hübsch animiert und abenteuerlich verpackt.

Märchen haben es da schwer. Scheinbar unnütz erzählen sie 1001 uralte Geschichten über zornige Könige, feinfühlige Prinzessinnen und das eine oder andere ledern beschuhte Tier. Spindeln zerbrechen, Apfelstücke werden verschluckt, von Tellerchen wird gegessen - und all das fördert weder logisches Denken, noch führt es den Nachwuchs spielerisch an die Geschichte Europas oder den Stromkreislauf heran.

Darum gibt es Eltern, die Märchen unnütz finden, die nicht wollen, dass ihre Kinder sich mit den ewig gleichen Geschichten gruseln und Hänsel und Gretel davon abhalten wollen, in den Wald zu rennen. Doch Märchen sind kein ineffizienter Zeitvertreib, sondern ein unentbehrliches Kulturgut, das uns mit Bildern versorgt, die uns intuitiv helfen, besser durchs Leben zu kommen. Denn Märchen erzählen von ewig gültigen Konflikten, von Eifersucht und Verrat, von Liebe und Treue, von Eitelkeit und Hochmut. Und sie benennen ganz klar, was Gut und Böse ist. Aber sie tun das eben nicht auf pädagogische Weise, sondern in Bildern, die unser Unterbewusstes bestücken und von dort auf unser Empfinden wirken. Was nicht zu unterschätzen ist.

So mag es effizient erscheinen, Kindern wortreich zu erklären, was aufrecht und ehrlich, was gut und richtig ist und vor welchen Kumpeln sie sich hüten sollten. Doch viel wirksamer als alles Reden ist das Leben. Darum erzieht man Kinder, ob man will oder nicht, noch immer am stärksten durch das, was man vorlebt. Und Märchen sind erzähltes Leben, manchmal grausam, manchmal unlogisch, aber immer echt. Erzählungen, die so lange weitergegeben wurden, bis sie eingegangen sind in den Schatz, den wir heute Märchen nennen, haben keine plumpen pädagogischen Absichten mehr, die Kindern sofort auffallen. Sie funktionieren einfach, weil sie etwas Wahres enthalten, etwas, das Generationen von Erzählern plausibel erschien. Darum sind die Ferien die beste Zeit, einmal wieder ein Märchenbuch aufzuschlagen. Und eine Geschichte vorzulesen, die alle schon kennen. Nichts Neues, nichts Schlaues, nichts zum Weiterbilden - nur ein Stoff, der das Leben reicher macht.

Ihre Meinung? Schreiben Sie unserer Autorin: kolumne@rheinische-post.de

(RP)
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