Sozialpolitisches Experiment Finnland wagt das Grundeinkommen

Helsinki · Das skandinavische Land startet das interessanteste sozialpolitische Experiment des 21. Jahrhunderts. 2000 arbeitslose Bürger sollen monatlich 560 Euro bekommen, ohne dass irgendeine Bedingung an die Auszahlung geknüpft ist.

 Blick von der Eteläranta-Straße auf den lutherischen Dom am Senaatintori-Platz in der Innenstadt von Finnlands Hauptstadt Helsinki.

Blick von der Eteläranta-Straße auf den lutherischen Dom am Senaatintori-Platz in der Innenstadt von Finnlands Hauptstadt Helsinki.

Foto: dpa

Ein sozialpolitisches Experiment in Finnland könnte den Sozialstaat und gängige Prinzipien von Fördern und Fordern grundlegend umkrempeln. In der Schweiz ist die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen im Juni bei einem Volksentscheid gescheitert. Unbeirrt davon wollen die Finnen mit ihrer Version im Januar ernst machen.

560 Euro im Monat

Noch wird es keine landesweite Einführung geben. Doch nach langem Hin und Her und vielen Szenarien der staatlichen Rentenanstalt Kela hat sich die rechtsliberale Regierung in Helsinki entschlossen, 2000 arbeitslosen Bürgern zwei Jahre lang 560 Euro monatlich auszuzahlen. Das Geld ist steuerfrei und an keinerlei Bedingungen geknüpft. Die Bürger werden zufällig ausgesucht. Wer unter den Empfängern staatlicher Leistungen ausgewählt wird, muss mitmachen. Zwischen 25 und 58 Jahre als sollen die Probanden sein. Sie müssen bislang Arbeitslosenhilfe erhalten haben. Arbeitssuchende, die bereits höhere Sozialleistungen erhalten, sind vom Auswahlverfahren ausgeschlossen. Das Grundeinkommen soll keine Bestrafung sein.

Wenn die Bezieher des bedingungslosen Grundeinkommens eine Arbeit annehmen, erhalten sie trotzdem diese Zahlung weiter. Bislang wurde ihnen das staatliche Geld gekürzt. So soll der Anreiz bei Arbeitssuchenden, sich wirklich eine Stelle zu suchen, erhöht werden. Zudem fällt der personalaufwendige Kontrollapparat des Arbeitsamts ganz weg. Niemand muss Bewerbungen schreiben und sich zu regelmäßigen Terminen im Arbeitsamt einfinden.

Ausgerechnet Finnlands rechtsliberaler Ministerpräsident, der ehemalige Großunternehmer Juha Sipilä, hat diese Idee aufgenommen. Die Wahlen im April 2015 gewann er, weil er versprach, Finnland wie ein Unternehmen zu führen und es so aus seiner tiefen Wirtschaftskrise zu befreien. Auf den ersten Blick passt das Experiment da nicht ganz hinein.

Links-rechts-Schere

Auf den zweiten Blick schon. Es geht um Freiwilligkeit, um die Verantwortung des Einzelnen und um weniger Arbeitsamt beziehungsweise Staat. Zudem ist in Finnland die Links-rechts-Schere in den Köpfen der Bürger weniger ausgeprägt als andernorts. Es gehe vor allem darum, wissenschaftlich genaue Erkenntnisse über die Auswirkungen des Grundeinkommens zu ermitteln, heißt es nüchtern in Helsinki. Sollte das Experiment positive Auswirkungen haben, schließt Helsinki eine Ausweitung nicht aus. Laut Umfragen ist die Mehrheit des Volkes für die Einführung eines Grundlohnes für alle.

Die Rentenanstalt Kela hatte der Regierung mehrere Versuchsmöglichkeiten angeboten. Ursprünglich hatten die Kela-Experten darauf gehofft, eine größere Gruppe mit einem höheren Grundeinkommen testen zu können. Ein Prinzip des bedingungslosen "Mitbürgerlohns" wird im anstehenden Experiment so auch ganz weggelassen. Denn eigentlich sollten ihn auch Bürger erhalten, die nicht arbeitslos sind. Doch das wäre deutlich teurer geworden. Die Regierung hat sich für eine der sparsameren Testversionen entschieden. Aber das ist in den Augen der Experten besser als nichts. Denn tatsächlich gibt es bislang kaum wissenschaftlich sichere Erkenntnisse über das Verhalten von Individuen im Arbeitsmarkt bei der Auszahlung eines bedingungslosen Einkommens.

(RP)
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